056 - Der Werwolf
auf ihn gerichtet waren. Beckers Zeigefinger krümmte sich.
Der schwere Revolver in seiner Hand ruckte hoch. Eine Wolke verbrannter Pulvergase verwischte das Bild. Als Dr. Becker wieder etwas sehen konnte, bemerkte er gerade noch, wie der schwarze Schatten in das Fenster sprang. Glas klirrte, ein dumpfer Aufprall folgte. Die Hunde, die den Wolf hart bedrängt hatten, waren sich gegenseitig im Weg und begannen wütend zu kläffen.
„Er ist da drin!“ sagte Hartmann, der neben Gerd aufgetaucht war.
„Er wird auch dort bleiben wollen!“ meinte Gerd. „Aber das Feuer wird ihn ins Freie treiben!“
„Sie haben anscheinend die einzig wirksame Waffe!“
Gerd gab Hartmann den Revolver, klappte die Schachtel auf und nahm drei der bulligen Patronen mit den silbernen Kugeln heraus, die in der Patienten-Werkstatt der Anstalt aus den alten Münzen gedreht worden waren.
Der Kommissar gab die Waffe zurück.
Sorgfältig lud Gerd nach, als er die leeren Hülsen ausgeworfen hatte. „Keine Sorge! Ich kümmere mich um den Killer.“
Gerd, von einigen Beamten begleitet, umkreiste das Haus. Die Westseite des brennenden Gebäudes wies keine Öffnungen auf, blieben nur die Eingangsseite und die beiden anderen Flächen zu beobachten.
„Die Feuerwehr ist da!“ schrie ein Beamter, der auf Hartmann und Becker zugelaufen kam, außer Atem.
„Die Männer sollen sich bereit halten, aber noch nicht löschen. Nur, wenn das Feuer übergreift!“ ordnete Hartmann an.
„Verstanden. Ich sage es ihnen.“
Gerd achtete nicht darauf. Jetzt leckten die ersten Flammen nach außen und schlugen an den Oberkanten der Fenster hoch.
Mitten in dem prasselnden Feuersturm saß der schwarze Wolf gefangen. Wie eine rote Lohe schlug die Angst über ihm zusammen, der sich bisher für unverwundbar gehalten hatte. Draußen stand sein erbittertster Gegner und hier drin kreiste ihn das Feuer immer mehr ein.
Das Tier versuchte, aus dem großen Fenster des ehemaligen Wintergartens zu springen, aber die Hundemeute raste neben Hartmann und Becker heran. Die Köter kläfften wie verrückt und bildeten einen Halbkreis unter dem Fenster.
Als Gerd den dreieckigen Schädel des Wolfes sah, zielte er mitten zwischen die Augen. Er mußte ihn verfehlt haben, denn wenig später tauchte die Bestie an einem anderen Fenster auf.
Der gleiche Vorgang wiederholte sich. Inzwischen war das Prasseln der Flammen, das Knistern von brennendem Holz, das Krachen einstürzender Decken und das Zischen verdampfenden Wassers zu einem einzigen Inferno geworden.
Die Flammen bildeten ein riesiges weißes Bündel von Feuerzungen, die sich in etwa zwanzig Meter Höhe vereinigten und dort in eine Säule aus schwarzem Rauch übergingen.
Der Killerwolf, aus mehreren Wunden blutend, versuchte nicht mehr, seinen Verfolgern zu entkommen. Dazu war es längst zu spät. Er kauerte, die Flammen immer näher kommen sehend, mitten im Raum. Seine Rache – er hatte sie nicht vollenden können! Wie gebannt starrten die grünen Lichter in das Feuer, das jetzt um seine Pfoten leckte und ihm den Pelz versengte.
Ein heiserer Schrei kam aus dem weit geöffneten Rachen, dann sprang er mitten hinein in die Lohe.
Die Hunde hatten sich wieder beruhigt und wurden an die Leinen gelegt, während die Feuerwehr sich nicht erst die Mühe machte, den Brand zu löschen. Sie beschränkte sich darauf, den Herd abzugrenzen. Als dann der Dachstuhl einbrach, ließ Kommissar Hartmann die ersten Hilfstrupps abrücken.
Der Spuk war vorbei. So schien es jedenfalls, als Gerd Becker mit schmerzenden Augen auf das Zentrum der niedergetrampelten Fläche starrte, auf der eine Schicht nasser Asche lag. Er stand neben Hartmann an den Kühler eines Streifenwagens gelehnt. Beide rauchten schweigend.
„Zufrieden?“ erkundigte sich der Arzt, der sich seltsam frei und leicht fühlte, obwohl ihm die letzte Gewißheit über den Tod des Killerwolfes noch fehlte. Barbara und er würden jetzt ohne Angst leben können!
„Ja und nein“, meinte Hartmann gedehnt. „Das alles ist mir ein bißchen zu spektakulär, zu mystisch, verstehen Sie? Sie mit Ihren verdammten Silberkugeln und Ihrer Theorie einer Union zwischen Mensch und Wolf! Entschuldigen Sie, aber mein praktischer Verstand und mein Wunderglaube sind damit überstrapaziert.“
„Ich verstehe.“
Nachdenklich sahen die beiden Männer den Feuerwehrleuten zu, die mit den ersten Aufräumungsarbeiten begonnen hatten. Einzelne Trümmerteile wurden auseinandergezogen,
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