0560 - Der Rattenmensch
Bärtchen. »Ist es vermessen, zu fragen, ob Sie schon etwas herausgefunden haben?«
»Vermessen nicht, aber ich kann leider nicht…«
»Aber Herr Sinclair.« Er breitete die Arme aus. »Man hat mir von Ratten erzählt…«
»Hat Hadek geplaudert?«
»Er ist verpflichtet.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist nichts Außergewöhnliches. Wenn Sie Menschen unter den Bedingungen arbeiten lassen, müssen Sie damit rechnen, daß aus irgendwelchen Tiefen auch mal Ratten in die Gewölbe klettern und sich dort umschauen. Sie sind aus den Gullys gekommen, glaube ich. Waren Sie schon mal dort unten?«
»Natürlich.«
»Dann sind Ratten nichts Ungewöhnliches.«
Er trank. »Bei Torday fühlten sie sich wohl?«
»Das kann ich nicht abstreiten. Er zieht diese Tiere irgendwie an. Den Grund kenne ich noch nicht. Allerdings hat er Vertrauen zu mir gefaßt. Das heißt, er steht mir nicht mehr so ablehnend gegenüber wie am gestrigen Abend.«
»Wann könnten Sie den Fall gelöst haben?«
»Das weiß ich nicht. Hat man denn inzwischen neue Opfer des Mörders gefunden?«
»Nein!«
»Seien sie froh.« Ich leerte mein Glas, weil ich sah, daß der Direktor auf die Uhr schaute.
Hinter dem Fenster lag der Gefängnishof. Ich konnte zwei der vier Wachtürme sehen, auf denen die Scheinwerfer installiert waren und langsam kreisten.
Der Direktor hatte meinen Blick bemerkt. »Aus diesen Mauern kommt niemand heraus, wenn ich es nicht will.«
»Das scheint mir auch so zu sein.«
»Sie glauben mir nicht – oder?«
»Kann es nicht noch andere Wege geben?« erkundigte ich mich vorsichtig.
»Wissen Sie mehr?«
»Leider nein. Ich werde mich melden, wenn ich etwas in Erfahrung gebracht habe.«
»Gut.«
Wir reichten uns die Hände. Meine Handfläche und auch die übrige Haut waren durch die Lauge ziemlich eingeweicht. Ein irgendwie widerliches Feeling.
Hadek erwartete mich im Vorzimmer und brachte mich auch wieder hinaus. Auf dem Gang fing er an zu schnüffeln. »Haben Sie was?« fragte ich ihn.
»Du stinkst.«
»Das kommt von der Lauge.«
»Nein, vom Schnaps.«
»Stimmt. Der Direktor war so freundlich, mir ein Glas anzubieten. Ich konnte nicht ablehnen.«
Diese Antwort konnte er nicht wechseln. Vor Wut stampfte er noch härter auf.
In der Zelle warteten Janos und das Abendessen auf mich. Diesmal gab es Brot und Tomaten, deren Haut zusammengeschrumpft war. Unter dem Brot fand ich ein Stück Salami.
Um Hadek kümmerten wir uns nicht. Der Österreicher knallte wütend die Tür zu und verschwand. Wir hörten seine Schritte auf dem Gang verklingen.
»Was hat der Direktor gewollt?«
Ich hob die Schultern und kaute an der Salami, die ziemlich zäh war. In der Wurst hingen die Sehnen wie dünne Fäden. »Hadek hat ihm von den Ratten erzählt.«
Torday kicherte. »Was hast du gesagt?«
»Nichts weiter. Ich habe ihm nur erklärt, daß man in einem Gewölbe, wie das hier unten, immer damit rechnen muß, daß hin und wieder Ratten erscheinen.«
»Gut, gut. Das ist richtig.« Janos kaute schmatzend sein Brot und trank dünnen Tee. Einen weiteren Kommentar gab er nicht mehr ab.
Auf diese Nacht war ich gespannter als auf die vorherige. Ich war mir sicher, daß sich etwas tun würde. Anzeichen dafür gab es auch.
Janos war längst nicht so ruhig. Er konnte auch nicht auf dem Bett bleiben. Immer häufiger stand er auf, schritt in der Zelle hin und her, trommelte mal gegen die Wand, warf den Kopf zurück und trat an das Fenster, um dort mit beiden Händen die Stäbe zu umklammern, als wollte er sie aus dem Mauerwerk herausreißen.
Ich hockte auf dem Bett und legte mich schließlich hin, damit sich Janos nicht so beobachtet fühlte.
Noch brannte das Licht. Mein Blick fiel gegen die Tür, in der sich auch ein Guckloch befand. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde sich hinter dem Guckloch etwas bewegen. Dabei dachte ich an Hadeks Versprechen, daß er uns beide unter Kontrolle behalten wollte.
Janos bemerkte davon nichts. Ich weihte ihn auch nicht ein, streckte meinen Körper aus, schloß die Augen und tat so, als würde ich schlafen. Ich hatte vorgehabt, wach zu bleiben. Das klappte nicht.
Die Stunden in der Waschküche forderten ihren Tribut. Für jemand, der diesen Schlauch nicht gewohnt war, kam die Müdigkeit automatisch. So fielen mir auch die Augen zu.
Ich schlief nicht sehr lange. Als ich erwachte, war es in der Zelle dunkel.
Das Spiel des letzten Abends wiederholte sich. Mit seinem geisterhaft bleichen Schein strich
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