0560 - Der Rattenmensch
außen der Lichtreflex des Scheinwerfers an der Hauswand vorbei und berührte auch unser Zellenfenster.
Mein Blick fiel nach rechts, wo Janos Torday liegen mußte.
Sein Bett war leer – Torday verschwunden!
***
Zuerst hielt ich es für eine Täuschung, rieb mir die Augen, schaute genauer hin, doch der Anblick blieb. Kein Janos Torday befand sich auf dem Bett. Und in der Zelle war er auch nicht, wie ich sehr schnell festgestellt hatte.
Wie hatte er den gut gesicherten Raum verlassen können? Das war die große Frage. Nicht durch das Fenster, auch nicht durch die verschlossene Tür. Es mußte demnach noch einen weiteren Ausgang geben, einen, den ich nicht kannte.
Ich überlegte. Plötzlich mußte ich niesen, der Staub in der Luft war schuld. Er verdichtete sich unter dem Bett meines Zellengenossen.
Dort mußte die Lücke zu finden sein.
Meine Bleistiftleuchte trug ich leider nicht bei mir. Ich mußte mich schon auf mein Feuerzeug verlassen. Ich kniete mich nieder und blickte in die Richtung, wo der Staub unter dem Bett wie eine Wand zitterte. Noch in der Bewegung vernahm ich schon das Trappeln kleiner Füße oder Pfoten.
Die Ratten waren unterwegs!
Wie schon in der letzten Nacht. Nur hatte sich trotzdem etwas verändert. Das Geräusch klang an diesem Abend wesentlich lauter, als wäre etwas eingerissen worden, um die Ratten in die Zelle gelangen zu lassen. Kaum war mir dieser Gedanke gekommen, als ich schon den Beweis bekam. Unter Tordays Bett schoß ein langer, grauer Schatten pfeilschnell hervor und in meine Richtung.
Die Ratte sprang mich an.
Ich kam nicht schnell genug weg. Das Tier fand auf meiner Schulter seinen Platz.
Ich rechnete mit einem Biß durch den Stoff, in den Hals oder in das Gesicht, doch die Ratte blieb auf der Schulter wie ein grauer Klumpen hocken.
Der Schauer auf meinem Gesicht verflüchtigte sich etwas. Mich überkam der Eindruck, als hätte die Ratte den Befehl bekommen, mir nichts zu tun. Für die Dauer einiger Sekunden blieb ich noch hocken, dann wollte ich die Stelle unter Tordays Bett genauer untersuchen. Als ich mich vorbeugte, sprang die Ratte zu Boden und verschwand unter dem Bett. Zwischen dessen Kante und dem Zellenboden befand sich ein genügend großer Zwischenraum, durch den ich mich schieben konnte, allerdings lag ich dabei auf dem Bauch.
Ich hatte die Arme ausgestreckt, um mit den Handflächen die Wand hinter dem Bett berühren zu können. Das schaffte ich teilweise, aber ich faßte auch ins Leere.
Mit den Beinen ragte ich noch in die Zelle hinein, mein Gesicht befand sich dicht vor der Wand. Ich griff in die Tasche und holte das schmale Feuerzeug hervor.
Die Flamme gab genügend Licht, um das Loch in der Wand erkennen zu können.
Auch noch so dickes Gestein war für Ratten kein Hindernis. Die fraßen sich durch alles. Selbst Beton hatten sie geschafft, da waren diese Steine ebenfalls kein Hindernis.
Auf einer Länge von mehr als einem Meter hatten sie die Mauer regelrecht durchbissen. Das Loch war so groß, daß ich hindurchkriechen konnte.
Was lag hinter der Mauer?
Daß es der Fluchtweg des Janos Torday war, stand für mich fest.
Ich leuchtete wieder und mußte erkennen, daß sich das Licht des Feuerzeugs in der Dunkelheit verlor. So weit es ging, streckte ich den Arm vor. Diesmal strich das Licht flackernd über rauhes und nasses Mauerwerk. Es war von den Zähnen der Ratten noch nicht angenagt worden. Ich ging davon aus, daß es sich um einen Tunnel handelte.
Da wollte ich hinein.
Das linke Bein konnte ich noch anziehen, das rechte nicht mehr, denn auf meine Wade legte sich plötzlich eine Klammer aus Fingern. Dann hörte ich das Lachen und Hadeks kalte wütende Stimme:
»Hab’ ich dich erwischt, du Schwein!«
***
Aus – vorbei! Der gesamte Plan war innerhalb einer Sekunde zusammengebrochen.
»Komm, Engländer, sonst jage ich dir eine Kugel in den Rücken oder steche dich ab!«
»Ja, schon gut. Laß mich los, Hadek!«
Der Druck verschwand. Ich kroch rückwärts unter dem Bett hervor und überlegte fieberhaft, wie ich mich verhalten sollte. Wenn Hadek allein gekommen war, besaß ich vielleicht eine Chance. Noch hatte ich von einem Helfer nichts gehört.
Ich durfte sogar aufstehen. Als ich mich erhoben hatte, sah ich ihn.
Er hatte sich einen Schritt vor der Tür aufgebaut und bedrohte mich mit seiner Dienstwaffe. In der Dunkelheit der Zelle wirkte er wie ein festgefrorener Schatten.
Der Österreicher grinste scharf. »Ich habe mir so etwas
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