0562 - Die Zeit der Reptilien
du damit sagen?«
»Daß natürlich auch Könige sterben können! Du wirst wissen, daß Kamose nicht der erste König von El-Amra ist. Und wenn du nach El-Gerza reist, wirst du die Grabmäler früherer Könige sehen. Weiß strahlen ihre riesigen Bauwerke im Glanz der Sonne, und Atum-Re schaut auf sie herab.« [7]
»Sie alle waren Inkarnationen des Horus. Und den Horus - nein, den kann man nicht töten.«
»Denn töte die Inkarnation«, sagte Khachkaht hörbar gelangweilt.
»Ich kann es nicht!«
»Du konntest Sobek verletzen.«
»Das war etwas anderes«, keuchte Menem-Set auf. »Ich war in Gefahr, ich…«
»Du wußtest nicht, was du tatest«, sagte Khachkaht höhnisch. »Aber du hast es getan! Und wer verletzt, der tötet auch! Willst du es nur deshalb nicht, weil du diesmal weißt, was du tust?« Menem-Set nickte stumm.
»Dann wirst du sterben. Die Krokodile der vier Himmelsrichtungen werden dich zerreißen. Dein Andenken wird zerstört. Niemand wird sich an dich erinnern. Alles, was man über deine Vorfahren weiß, wird getilgt werden aus der Welt. Man wird sagen: Es gab einen, der frevelte und seine Hand wider den Gott erhob, doch seinen Namen und seine Herkunft kennen wir nicht! Und die Götter werden sagen: Es gab einen, der frevelte und seine Hand wider einen von uns erhob, doch seinen Namen und seine Herkunft kennen wir nicht! Wenn aber im Reich des Osiris jemand fragt: Wo ist jener, der seine Hand wider einen Gott erhob, wird niemand deinen Namen rufen!«
Der Dieb erschauerte.
»Das ist nur das, was dich nach deinem Tode erwartet«, fuhr Khachkaht in eiskalter Ruhe fort. »Doch du selbst wirst davon nichts mehr erfahren, weil es dann für dein Ba und dein Ka längst keinen Platz mehr in der Maat gibt. Doch vor deinem Tod wirst du leiden. Denn der Zorn des Gottes ist gewaltig und so groß wie die Maat selbst, welche du durch deinen Frevel störtest. Du wirst leiden, wie kein Mensch zuvor litt. Du bist des Todes, doch der Gott selbst wird das Urteil vollstrecken und dein Leben dem Ende zuführen. Weißt du, wie Götter töten? Ahnst du es?«
Menem-Set schwieg. Er sah Khachkaht nur aus weit aufgerissenen Augen an, und seine Angst wurde in ihm immer größer.
»Jene, denen die Götter selbst den Tod geben, sterben nicht schnell. Sie leiden unendliche Qualen, jeden Tag aufs neue, und das während der ganzen Ewigkeit. Du wirst leiden, Menem-Set, nicht nur heute, nicht nur morgen, nicht nur einen Mond oder eine Flut lang wirst du dich in Schmerzen winden, während niemand dich mehr kennt. Du wirst tausend mal tausend mal tausend Fluten lang leiden. Du wirst tot sein und doch unter den Schmerzen brüllen, die dir der zornige Gott bereitet.«
Menem-Set zitterte.
»Ich sehe deine Gedanken«, sagte Khachkaht. »Ich sehe, daß du mich mit dem Messer angreifen willst, mit dem du den Gott verletztest. Doch selbst wenn du mich tötest, änderst du nichts. Der Gott findet dich, wo und wann immer du dich verbirgst. Er riecht die Angst, die dich verschlingt. Er ist deine Angst. Du entkommst nie. Du verfällst der Ewigkeit und dem Vergessen. Du hast gefrevelt, du bist des Todes - doch der Gott gewährt dir Gnade, wenn du seinen Auftrag erfüllst, wenn zu zeigst, daß du der treueste seiner Diener bist.«
»Aber…«
Menem-Set verstummte wieder.
Er war verloren, so oder so.
Entweder tötete ihn der Rächer Sobek, oder ihn tötete der Rächer Horus, wenn Menem-Set dessen Inkarnation, den König Kamose von El-Amra, mordete. Horus würde kaum weniger furchtbar sein als Sobek. Und eine Ewigkeit dauerte eine Ewigkeit, es gab keinen Unterschied.
Menem-Set würde vielleicht nur ein paar Tage länger leben dürfen.
Von jetzt an bis zu jener Stunde, in der er den Horus Pharao tötete.
War es das wert?
Tage voller Angst ob des erinnerungslosen Todes voller ewig währender Schmerzen?
»Wird Sobek mir Gnade gewähren, wenn ich seinem Ruf folge?« fragte Menem-Set zitternd.
»Was verstehst du unter Gnade? Ist es dir nicht Gnade genug, daß Sobek dich verschont?«
»Wird Sobek mich vor dem Zorn des Horus schützen?« keuchte Menem-Set. »Wenn ich den König töte, wird doch Horus mich dafür verfolgen, wie jetzt Sobek mich verfolgt, weil ich den Beschirmer des Nil verletzte!«
»Du verlangst viel, kleiner Dieb, der in der Nacht mehr Mut im Herzen trägt als am Tage! Kleiner Dieb, der vor den Worten Khachkahts mehr zittert als vor den Augen Sobeks!«
Über Menem-Sets Körper rann der Schweiß, aber er bemerkte es
Weitere Kostenlose Bücher