0562 - Mordnacht in Paris
die Angst ihrer Neugierde gewichen. So gut wie möglich schaute sie sich um, konnte aber nichts entdecken, was nicht auf diesen Friedhof gehört hätte. »Wenn mich nicht alles täuscht, Messieur, warten Sie auf den Killer.«
»Genau.«
»Ist er denn…?«
»Ja«, sagte der Mann, der Lady Sarah hergebracht hatte. »Er hat den Friedhof bereits betreten, und er schleicht hinter unserem Lockvogel her, einer jungen, blonden Frau, die einen Blumenstrauß mitgenommen hat, wobei zwischen den Blüten allerdings von uns ein Mikrofon versteckt wurde. Sie steht mit uns in einem ständigen Kontakt.«
»Hat sie den Mörder gesehen?«
»Sie glaubt es.«
»Und die Frau kommt auf uns zu?«
»So sieht es aus.«
»Dann habe ich ja Glück gehabt.«
»Das kann man sagen«, antwortete der zweite. »Um das Glück nicht noch länger herauszufordern, schlage ich vor, daß Sie sich hinter einem Grabstein verstecken und warten, bis alles vorbei ist.«
Lady Sarah hob die Schultern. »Sie sitzen am längeren Hebel. Was soll ich sonst tun?«
»Sehr richtig.«
Sie spürte die Hand des Mannes auf ihrer Schulter. Er dirigierte sie nach rechts, als aus dem Unterholz eine mächtige Grabplatte senkrecht hervorwuchs.
»Da können Sie so lange hocken, bis alles vorbei ist.«
Sarah nickte. »Einen kleinen Schluck haben Sie nicht zufällig? Es braucht kein Tee zu sein, Kognak täte es auch.«
»Sie haben Nerven.« Der Beamte verdrehte die Augen. »Wir sind im Dienst, Madame.«
»Ich kenne euch. Einen kleinen Schluck werdet ihr doch wohl haben.«
Sie bekam ihn.
»Danke«, sagte Lady Sarah, als sie getrunken hatte, »er war wirklich von der guten Sorte.«
»Das will ich meinen.« Der Beamte drohte ihr mit dem Zeigefinger. »Sie bleiben hier und rühren sich nicht von der Stelle!«
»Das sagten Sie schon, Monsieur.«
Kopfschüttelnd drehte sich der Polizist um und begab sich zu seinem Kollegen.
Sarah Goldwyn konnte ihr »Glück« kaum fassen. Kaum befand sie sich zwei Tage in Paris, stolperte sie schon über einen heißen Kriminalfall. Sie zog die Verbrechen tatsächlich an wie ein Magnet. Wenn sie das John Sinclair erzählte, der würde vor Schreck in Ohnmacht fallen. Er hatte ihr vor der Reise sowieso eingeschärft, auf sich achtzugeben.
Die beiden Polizisten rechneten damit, Lady Sarah in Schach gehalten zu haben. Da kannten sie die Horror-Oma schlecht. Wenn die einmal Blut geleckt hatte, blieb sie am Ball.
Noch hockte sie hinter dem Grabstein in sicherer Deckung. Sie wollte die nächsten Minuten abwarten, wo sich tatsächlich etwas tat.
Bestimmt lagen nicht nur die beiden auf der Lauer. Wenn, dann hielten die Jäger den Friedhof besetzt.
Sie wandten Lady Sarah den Rücken zu. Beide trugen Mäntel. Die Farbe lag irgendwo zwischen Grau und Grün. Sie trugen ihre Schnellfeuergewehre wie Paradesoldaten. Die Mündungen schauten in den Himmel.
Starr wie Figuren hielten sie sich zwischen den Büschen auf. Lady Sarah hatte sich längst bequem hingestellt. Auch ihre Blicke wanderten und suchten die Umgebung ab. Wenn es soweit war, wollte sie sich einen Logenplatz suchen.
Rechts war der Boden nicht so dicht bewachsen. Da ließen die Gräber mehr Zwischenräume frei.
Noch tat sich nichts. Einer der Männer drehte sich um. Lady Sarah winkte ihm zu.
Trotz der Dunkelheit erkannte Sarah die Veränderung in seinem Gesicht. Er regte sich darüber auf, daß sie nicht mehr den alten Platz eingenommen hatte, kam jedoch nicht dazu, einzugreifen, denn sein Sprechfunkgerät meldete sich durch ein optisches Signal. Mehrmals hintereinander flackerte eine rote Lampe auf.
Die Sache macht sich, dachte Sarah und war gespannt, wie es weitergehen würde.
Was der Mann in das Gerät hineinflüsterte, konnte sie nicht verstehen. Nach dem Gespräch allerdings steckte er das Gerät weg und änderte die Haltung seines Gewehres.
Sein Partner tat es ihm nach. Die beiden Männer mußten vom Jagdfieber gepackt sein. Sie warfen nämlich keinen Blick zurück, als sie sich durch das dünne Buschwerk vor ihnen schlugen und dort stehenblieben, wo es endete und der Weg begann.
Die Zweige wippten noch nach, bevor sie wieder die nötige Deckung gaben.
Die Horror-Oma lächelte, als sie das sah. Besser hätte es nicht laufen können.
Tastend ging sie die ersten Schritte nach rechts. Sie hatte Glück, daß unter dem Druck ihres Fußes kein trockener Ast brach, nur das Gras und dünne Pflanzenarme schabten am Leder entlang.
Grabsteine warfen Schatten. Lady Sarah schlich
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