0562 - Mordnacht in Paris
saßen, daß sie Mühe hatte, hineinzukommen.
Der Rock war arg kurz, für den Winter zu kalt, aber Jane wollte ihren Mantel anziehen. Die schwarzen Netzstrümpfe zeigten noch eine Applikation: Weiße Herzen verteilten sich auf den Beinen. Zum schwarzen Rock nahm sie einen Pullover von violetter Farbe. Als sie die Umkleidekabine verließ, stand die Verkäuferin rauchend da und nickte überrascht. »Sie sehen ja astrein aus.«
»Finden Sie?«
»Klar. Bis auf die Haare.«
»Wieso?«
»Na ja, die müßten etwas wilder sein. Frecher oder so. Vielleicht gegelt.«
»Können Sie das machen?«
»Wenn Sie wollen.«
»Es wird Ihr Schaden nicht sein.«
»Okay, kommen Sie mit nach hinten.«
Dort befand sich ein Tisch. Dahinter wuchs ein kippbarer Standspiegel hoch.
Jane fand sich komisch, mußte sich ein Lachen verbeißen, hoffte jedoch, in dieser Aufmachung den Effekt erzielen zu können, den sie sich vorgenommen hatte.
Die Verkäuferin beschäftigte sich mit Janes Haaren und verkaufte ihr noch billigen Modeschmuck, mit dem sich die Detektivin behängte. Dann reichte sie ihr die Rechnung.
Jane zahlte und legte noch ein dickes Trinkgeld hinzu.
»Ho, danke, sehr großzügig.«
»Dafür müssen Sie mir auch noch eine Frage beantworten.«
»Gern.«
»Wo finde ich Cilly? Vielmehr das Haus, in dem sie lebt?«
»Ach so.« Die Verkäuferin lachte. »Deshalb die Kleidung. Tagsüber die elegante Frau, nachts die Hure.«
Jane hatte Mühe, nicht rot zu werden. »So ähnlich. Aber jeder sollte sich ausleben.«
»Sie brauchen nicht weit zu gehen.« Mit dürren Worten bekam Jane den Weg beschrieben.
»Ich danke Ihnen. Noch eine Sache. Würden Sie meine Kleidung bis auf den Mantel so lange für mich in Verwahrung nehmen?«
»Mach’ ich glatt.«
»Gut.« Jane ging zum Ausgang. »Dann bis morgen.«
»Ja, machen Sie’s gut, Madame.« Kopfschüttelnd schaute das Boutique-Häschen Jane Collins nach, die sich vor der Tür den weit geschwungenen Kaschmirmantel überstreifte und sich so vor der Kälte schützte.
Es war windig geworden. Montmartre lag auf einem Hügel. Der Wind blies durch die engen Gassen und wirbelte Staub auf.
Ihr Herz schlug schon schneller, das mußte Jane zugeben. Sie spürte auch einen komischen Geschmack in der Kehle. Hinzu kam die fremde Umgebung. In London kannte sie sich aus, in der Metropole Paris so gut wie nicht.
Zwar lag der Abend nicht über der Stadt, trotzdem flimmerten schon an vielen Fassaden Lichter. An den kleinen Bars, den Bistros und Cafés. Hin und wieder gab ein künstlicher Weihnachtsbaum seinen bunten Schein ab, der sich mit dem hellen Licht auf der Straße vermischte.
Eine allein gehende Frau erregte automatisch mehr Aufmerksamkeit. Die Blicke der Männer zirkelten in ihr Gesicht und glitten auch über ihren Körper, wobei von ihm nicht viel zu sehen war, denn der Mantel verdeckte ihn.
Die Straße stieg an. Das Pflaster bestand aus Kopfsteinen, den sogenannten Katzenköpfen und fehlte an einigen Stellen völlig. Es sah aus wie herausgerissen.
Laternen gaben ihren müden Schein ab. Musik wehte in die Dämmerung hinein, unterlegt vom Klang zahlreicher Stimmen, denn bei vielen Lokalen standen die Türen offen, weil sich die Gäste in den oft überheizten Räumen nicht wohl fühlten.
Das Haus lag auf der linken Seite. Rotes Licht kletterte an der Fassade hoch wie ein Pinselstrich, der nach oben hin immer dünner wurde. Zahlreiche schmale Fenster zeugten von ebenso vielen Zimmern. Wenn die alle belegt waren, mußte der Laden gut laufen.
Aus einem seitlichen Fenster im Erdgeschoß drang Licht. Es fiel auch auf die schmale Treppe, deren zwei Stufen in die Tiefe führten.
Jane rechnete damit, daß hinter dem Fenster die Concierge saß, eben Cilly.
Bisher war sie relativ zielstrebig gegangen. Nicht daß sie der Mut verlassen hätte, ein unangenehmes Gefühl beschlich sie trotzdem, und sie zog trotz des wärmenden Mantels fröstelnd ihre Schultern in die Höhe. Die letzten Schritte fielen ihr am schwersten. Zum Glück wollte vor ihr ein Pärchen das Haus betreten.
Sie war Mulattin, der Mann schon älter und Amerikaner. An seiner Aussprache hörte man es schon. Die Mulattin im Lackledermantel zog ihren Kunden auf das Haus zu.
»Jetzt stell dich nicht so an, Süßer. Dir wird schon nichts abgerissen.« Der sichtlich angetrunkene Mann folgte ihr etwas unfreiwillig und wäre fast über die Schwelle gestolpert.
Jane stellte sich für einen Moment auf die andere Straßenseite und
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