0562 - Mordnacht in Paris
überlegte es sich anders, ein saugender Atemzug produzierte bei ihr einen keuchenden Laut, der über ihre Lippen drang und im Raum verklang.
»Keine Angst, Cilly, keine Angst!« flüsterte Quasimodo. »Wir sind doch immer Freunde gewesen.«
Cilly richtete sich auf. Bei ihrer Masse war das nicht mal so einfach. Sie schaute zu, wie der Bucklige die Tür schloß und den Schlüssel auf den Holztisch legte.
Er hatte sich günstig hingestellt. Wer draußen durch das Flurfenster schaute, würde ihn nicht sehen können, aber es kam sowieso niemand. Die beiden waren allein.
Cilly hatte mit Bluthochdruck zu tun. Sie spürte, wie ihr Herz rascher klopfte und ihr auch das Blut ins Gesicht stieg. Sie hatte Mühe, eine Frage zu stellen. »Willst du mich auch töten, Quasimodo? Bist du deshalb zu mir gekommen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Cilly, du doch nicht.«
Sie schaute ihren unheimlichen Besucher an. Eigentlich sah er aus wie immer. Sie kannte ihn nur in dieser alten, schon zerlumpten Kleidung. Die graue Hose, das fleckige Hemd, das irgendwann einmal weiß gewesen sein mußte. Eine alte Jacke trug er ebenfalls. Sie besaß nur einen normalen Ärmel, der linke hing als Fetzen von der Schulter herab.
Sein Gesicht hatte sich verändert. Braungebrannt war er nie gewesen. Das gab es auch bei Menschen, die nur wenig im Freien lebten, nicht. Aber diese Bleichheit, die er zur Schau trug, für die gab es kaum einen Vergleich. Ein schmutziges Weiß, zu vergleichen mit einer Leichenfarbe. Die Haare stachen als grauer Wirrwarr davon ab.
Seine Ohren wuchsen wie große Lappen an den Seiten des Kopfes, die Lippen erinnerten an graues, poröses Gummi.
Er drückte sich auf einen vierbeinigen Schemel ohne Rückenlehne und ließ seinen Blick nicht von Cilly.
Die saß auf dem Bett, atmete heftig und hielt beide Hände auf ihren Busen gepreßt. Der Bucklige ließ sie in Ruhe. Sein verwachsener Körperteil stach wie ein Berg ab und zeichnete auch einen Schatten auf den Boden.
»Ich habe von dir noch immer keine Antwort bekommen. Was willst du bei mir?«
»Dich besuchen.«
»Aber du hast getötet!«
Seine Augen veränderten sich. Sie nahmen einen fast staunenden Ausdruck an. »Na und?«
»Wie na und?«
»Ist das schlimm?«
»Ja.«
»Nein, Cilly, es ist nicht schlimm. Es ist überhaupt nicht schlimm. Ich mußte es tun. Ich werde mir auch andere holen, das kann ich dir versprechen. Erinnere dich an unsere Zeiten, als wir in den Kellern zusammenhockten und die über uns fluchten. Wir hätten sie am liebsten zersägt, so sehr haben wir sie gehaßt. Man hat dich einfach auf die Straße geworfen; als Nutte warst du zu alt, aber du hast dich gefangen, das stimmt. Besser hätte es nicht laufen können. Ich habe mich auch gefangen, ich habe mein Versprechen, das wir uns früher gaben, eingelöst.« Er nickte ihr zu. »Sechs sind tot.«
»Ja, ja«, hauchte Cilly. »Ich hörte davon. Die letzte war eine Polizistin.«
»Ein Lockvogel.« Er grinste und rieb seine Hände. Die Haut war trocken und produzierte schabende Geräusche.
»Jetzt werden sie dich in die Enge treiben, Quasimodo. Du hast keine Chance mehr.«
»Tatsächlich nicht?«
»Ich kenne die Bullen.«
»Ich ebenfalls.«
»Na und? Dann müßtest du vernünftig sein. Ich gebe dir einen Rat, Quasimodo: Hau ab! Verschwinde aus Paris! Ich werde dich nicht verraten, aber hau ab!«
»Das werde ich nicht.«
»Dann gebe ich dir höchstens noch drei Tage.«
»Und ich gebe mir eine Ewigkeit!«
Nach dieser Antwort schwieg Cilly. Sie hatte sie zwar verstanden, aber nicht begriffen. »Was meinst du damit?«
»Hast du schon mal einen Toten getötet?«
»Unsinn. Was redest du da?«
»Die Wahrheit. Vor dir steht jemand, der zwar aussieht wie ein Mensch, der aber trotzdem keiner ist. Ich bin ein Toter, der lebt. Du kannst auch Zombie sagen. Der Teufel hat seinen schützenden Schirm um mich gelegt. Ich bin zu einem Günstling der Hölle geworden. Ist das nicht herrlich für mich?«
Sie verzog die Lippen. »Das… das soll ich dir wirklich glauben?«
»Ja, selbst die Bullen müssen es.«
»Wieso?«
Er beugte sich vor und öffnete sein Hemd. Es war einfach. Er klappte nur die beiden Hälften zur Seite. »Schau dir meine Brust an, Cilly. Siehst du die Naht?«
»Ja.« Sie blickte durch ihre Brille, die sie aus der Kugeltasche geholt hatte. »Sieht aus, als hätten dich dort Kugeln getroffen und wären nicht durchgedrungen.«
»Das waren auch Kugeln, Cilly.«
Sie saß da und
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