0563 - Totensturm der Geisterfrau
Daß er sich an seiner Umwelt rächen wollte, konnte Jane sogar verstehen.
Nur die Art, wie er es tat, das war nicht richtig.
Wie ein großes, unheimliches Auge sah der Anfang der gewaltigen Röhre aus. Ein kalter, glatter Tunnel, gefräßig, begierig, alles in sich einsaugend. Von innen angestrichen mit einer Schutzfarbe, die einen matten Glanz ausstrahlte.
Der Bucklige hatte sich gedreht und der Röhrenöffnung den Rücken zugedreht. Er stand etwas krumm, zur rechten Seite geneigt, weil sein Fuß dort eingesunken und in der lehmigen Erde verschwunden war, so daß er wirkte, als besäße er nur mehr ein halbes Bein. Über den Rand der hohen Wände hinweg drang der Widerschein zahlreicher Straßenlichter in die Baugrube.
Auch der freiliegende Teil der Röhre streifte das Licht und ließ das Gesicht des Buckligen einigermaßen gut erkennen. Jane merkte, daß sich etwas tat. Quasimodo erschien ihr nervöser als noch vor wenigen Minuten. Er bewegte seine Hände, als wären sie zu kalt geworden. Eine sichtbare Waffe hatte die Detektivin an ihm nicht feststellen können, was sie einigermaßen beruhigte.
»Hast du was?« erkundigte sie sich.
Der Bucklige hob die Schultern an. »Ich weiß es nicht genau. Es ist so anders.«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Weshalb gehst du nicht weiter?«
Quasimodo warf einen Blick über die Schulter auf die Öffnung der Röhre. »Es hat damit zu tun. Ich werde irgendwie aufgehalten. Vielleicht will jemand, daß ich noch warte.«
»Ich bitte dich. Erst hattest du es eilig und jetzt…? Wer ist es denn?«
»Mein Freund!«
»Der Teufel?«
Quasimodo enthielt sich einer Antwort. Wahrscheinlich war er sich selbst nicht sicher, doch bei Jane klingelten die Alarmglocken.
Wenn sie alles gebrauchen konnte, nur nicht den Teufel. Der würde ihr Spiel auf der Stelle durchschauen.
Mit dem nächsten Satz traf sie Anstalten, den Buckligen in Sicherheit zu wiegen. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Teufel erscheinen wird. Er vertraut dir. Er will, daß du selbständig wirst und nicht immer von ihm abhängig bist. Das war bei mir ähnlich. Ich habe als Hexe fast die gleiche Entwicklung durchgemacht wie du.«
»Tatsächlich?«
Nicht Quasimodo hatte die Frage gestellt, es war der Höllenherrscher persönlich, der auf einmal seinen Platz eingenommen hatte. Er stand in der Röhre, umwabert von bläulichroten, starren Flammen, die einen Schutzmantel bildeten.
Jane erschrak zutiefst. Sie spürte das Zittern und hatte gleichzeitig den Eindruck, daß ihr jemand die Beine unter dem Körper weggezogen hatte.
Anders reagierte der Killer. Er sah den Höllenherrscher und jubelte: »Satan – endlich!«
***
Asmodis, der in vielerlei Gestalten erscheinen konnte, hatte sich in diesem Fall für eine klassische entschieden. Ganz in Schwarz stand er inmitten der Flammen. Sein Gesicht hatte Ähnlichkeit mit einem Dreieck besessen. Die breite Stirn war glatt. Hörner hatte er keine.
Die Farbe der Haut mischte sich aus Rot und Schwarz zusammen, ein festzementiertes Muster von zwei Schatten, das auch über den breiten Mund hinausragte, der schon Ähnlichkeit mit einem gewaltigen Maul aufwies.
Asmodis trug nicht allein die Flammen als Kleidung. Er hatte seinen wahrscheinlich behaarten Körper in ein enges, schwarzes Trikot gezwängt und bewegte sich aus der Röhrenöffnung heraus. Er tat es leichtfüßig, als würde er schweben.
Der Mörder wollte nach ihm greifen und ihn berühren wie einen Fan seinen Star, doch der Teufel schob ihn mit einer heftigen und arrogant wirkenden Geste zur Seite, um Platz zu haben für eine Person, die schon lange auf seiner Liste stand.
Jane Collins blieb stehen. Es hätte keinen Sinn gehabt, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Sie war realistisch genug, um einzusehen, wann sich die Chancen dem Nullpunkt näherten.
»Sie gehört zu uns!« keuchte der Bucklige. »Ich habe es gesehen. Sie hat es mir bewiesen…«
»Ja, ja, sie gehört zu uns!« Asmodis sprach mit einer knarrenden Stimme. Hart und gleichzeitig weich. Ein Auf und Ab in der Modulation. So etwas brachte kein Mensch fertig. Zwei Schritte vor Jane stoppte er seinen Schritt, stemmte eine Hand in die Hüfte, lächelte kalt und fragte wieder: »Gehörst du tatsächlich zu uns?«
»Er hat es geglaubt.«
»Er ist eine Null.«
»Ich weiß.«
»Du hättest ihn geschafft, nicht?«
»Vielleicht oder bestimmt. Man muß einen sechsfachen Mörder aus dem Verkehr ziehen.«
»Von deiner Warte aus gesehen hast du recht.«
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