0566 - Hexenreich
verschwunden waren.
Ich fühlte dort nach, wo ich Liliths glatte Fratze gesehen hatte. Die Stelle war nicht warm geworden. Von ihr strahlte eine eisige Kälte ab. Auch wieder das genaue Gegenteil und ein Beweis dafür, daß Gut und Böse aufeinandergeprallt waren.
Sheila hörte, wie ich tief durchatmete und fragte: »Da war doch etwas, John. Ein Gesicht, nicht?«
»Ja, Lilith.«
»Nein!« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Auf… auf deinem Kreuz, John?«
»Leider.«
Sie schaute mir starr ins Gesicht. »Ich habe den Eindruck, als wolltest du mir etwas verschweigen. Los, raus mit der Sprache! Hat es zwischen euch eine Art Kommunikation gegeben?«
»Ja.«
»Was wollte sie?«
»Sie hat mir davon abgeraten, es mit dem Kreuz zu versuchen. Es hätte keinen Sinn.«
Sheila schüttelte verständnislos den Kopf. »Was hätte keinen Sinn gehabt?« fragte sie nach.
»Wenn ich das wüßte, ginge es mir besser.«
»Bitte, denke nach.«
»Es dreht sich einzig und allein um das Kreuz, Mädchen. Tut mir leid, mehr kann ich nicht sagen.«
»Dann spielt es wohl eine sehr große Rolle in einem Drama, von dem wir nicht einmal den ersten Akt genau kennen.«
»Sehr gut ausgedrückt.«
»Und jetzt?«
Ich lächelte sie an. »Das war immerhin ein kleiner Erfolg, Sheila. Wir sitzen hier, aber irgendwo geht es weiter. Das Spiel läuft, noch warten wir auf unseren Auftritt oder ich auf den meinen. Aber der wird noch kommen, verlaß dich darauf.«
»Du müßtest wohl weg von hier gehen – oder?«
»Wahrscheinlich. Ich kann das Kreuz nicht allein lassen.« Zur Bestätigung meiner Worte nahm ich es in die Hand.
»Lilith«, murmelte Sheila. »Himmel, was hat sie damit zu tun? Da muß eine gewaltige Sache laufen.«
»Das finde ich auch.«
Sheila wollte noch mehr sagen, nur brachte sie keinen Ton mehr hervor. Statt dessen deutete sie auf das große Fenster und hinaus in den Garten.
Ich folgte der Richtung und war ebenfalls baff. Bisher hatte ich nur von dieser dunkelhaarigen Frau gehört. Nun sah ich sie mit meinen eigenen Augen.
Mitten auf der Terrasse hockte sie auf dem Rücken ihres schneeweißen Hirschs!
***
Es war ein schockierendes Erlebnis, mit dem beide nicht gerechnet hatten.
Jane und Bill holten Taschentücher hervor und preßten sie gegen ihre Lippen. Sie atmeten durch den Stoff, wobei sie hofften, daß er als Filter wirkte.
Die Detektivin nickte Bill zu. Ein Zeichen, daß sie den Bau durchsuchen wollte. Das Haus besaß nur einen Raum. Die Decke diente gleichzeitig als Dach.
Bill vermied es, die Toten anzuschauen, er wollte zunächst die anderen Dinge ansehen. Möbel, Schlafstätten, Waschgelegenheiten ließen einige Rückschlüsse auf das Leben der Menschen zu. Auch hier entdeckten sie diese alltäglichen Dinge, aber sie sahen wesentlich anders aus als die auf der Erde.
Ähnlichkeiten waren schon vorhanden, nur wirkten Stühle, Tisch und auch Schlafgelegenheiten viel kleiner und vor allen Dingen schmaler, als wären sie für Zwerge gebaut worden. Aber die lebten nicht mehr. Sie waren durch Gewalt ums Leben gekommen. Jane und Bill sahen die Wunden in ihren schmächtigen Körpern. Wahrscheinlich waren sie von breiten Schwertklingen und auch tödlichen Lanzenspitzen hinterlassen worden. Noch etwas fiel ihnen auf.
Falls die Toten zu erkennen waren, so hatten sie festgestellt, daß es sich um weibliche Personen handelte. Schmale, kleine Frauen, die etwas Elfenhaftes an sich hatten.
Der schreckliche Geruch drang nicht nach draußen. Er hielt sich innerhalb des Gebäudes wie in einem Käfig auf. Ihre Suche nach Leben war umsonst. Dieses Massaker hatte niemand überlebt.
Die beiden nickten sich zu. Jane deutete auf die Tür und ging schon vor. Bill folgte ihr dicht auf dem Fuß. Vor dem Haus ließ er das Taschentuch sinken und holte einige Male tief Luft. Er war blaß geworden. Auf der Stirn glänzten kalte Schweißtropfen. Verlegen hob er die Schultern. Eine Geste, die alles sagte.
»Von wegen friedlich!« flüsterte Jane. »Über dieses Dorf ist der Sturm des Todes hinweggefahren und hat Schreckliches hinterlassen.« Sie schüttelte sich. »Gütiger Himmel, was mag sich hier nur abgespielt haben?«
»Ich habe keine Ahnung!« würgte Bill.
»Jedenfalls sind sie tot, alle. Hast du gesehen, daß es sich dabei nur um Frauen handelte?«
»Ja.«
»Wo sind die Männer?«
Bill trat einen Stein zur Seite. »Es kann doch sein, daß es die gar nicht gibt. Wir befinden uns im Hexenland oder Hexenreich. Und Hexen
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