0566 - Odins Zauber
schon ein paar hundert Jahre her, daß mir jemand Befehle erteilt hat«, sagte Tendyke mit gefährlicher Ruhe. »Das wollen wir nicht ausgerechnet heute wieder einführen, junger Mann, oder?«
»Ich brauche das Ding!« erwiderte Yves knapp. »Und ich hab’s verflucht eilig.«
»Und ich habe alle Zeit der Welt. Ombre «, konterte Tendyke. »Woher wissen Sie überhaupt, daß ich im Besitz des Stabes bin? Hast du…« Dabei drehte er den Kopf und sah Zamorra an.
»Von mir weiß er das ebensowenig wie von Nicole, Rob!«
»Also, Ombre, woher stammt Ihr Wissen?«
»Wird das jetzt ein Verhör? Ich will nur den Stab und dann ganz schnell wieder von hier verschwinden - damit ich Ihnen nicht länger lästig bin!«
»Höfliche Menschen versuchen zumindest, die Fragen anderer zu beant worten«, wies Zamorra den Schütten zurecht.
»Na schön. Vor vier Tagen habe ich einen rangniederen Dämon erlegt. Und der Mistbock glaubte, sich sein Weiterleben mit dieser Information erkaufen zu können! Er redete wie ein Wasserfall, aber… na ja, Dämonen halten sich nicht an ihre Vereinbarungen, also habe ich ihn dann auch nicht laufengelassen. Aber von ihm weiß ich, daß der Ju-Ju-Stab hier ist, Sir. Reicht das jetzt endlich, und bekomme ich ihn?«
»Was wollen Sie damit anfangen?«
»Gerechter Himmel, was wohl? Bestimmt nicht die Suppe umrühren oder ihn im Ofen verheizen! Was will ich wohl mit einer Waffe, die Dämonen schon bei einer einzigen Berührung umbringt? Haben Sie wirklich nicht genug Fantasie, um sich das vorzustellen? Lucifuge Rofocale hat doch schon einmal vor dem Ju-Ju-Stab die Flucht ergriffen!«
»Hat dir das auch dieser rangniedere Dämon verraten - bevor du gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen hast, Ombre?« fragte Zamorra scharf.
»Ja! Und ungeschriebene Gesetze interessieren mich nicht, solange ich es mit Dämonen zu tun habe! Die gehören ausgerottet! Diese verfluchte Höllenbrut…«
»Sie sind ein verdammter Hitzkopf, Ombre«, sagte Tendyke. »Ich denke gar nicht daran, Ihnen diese einzigartige Waffe zu überlassen. Sie ist viel zu wertvoll, um durch Ihre Hand verloren zu gehen. Kann ich statt dessen etwas anderes für Sie tun?«
»Danke, damit bin ich nun erstklassig bedient, Sir«, erwiderte der Farbige spöttisch und wandte sich wieder um. »Tut mir leid, daß ich Ihre gemütliche Plauderrunde gestört habe!«
Zamòrras Zuruf stoppte ihn.
»Warte, Ombre. Da ist noch etwas zu klären.«
»Was denn noch?«
Zamorra hielt das Kerzenwachs hoch.
»Habe ich vorhin den Namen Odin richtig verstanden? Odin, der Wanderer, der Einäugige mit seinen beiden Raben?«
»Federvieh hatte er nicht bei sich, aber der Rest der Beschreibung stimmt. Und bevor der nächste Fragenkatalog aufgeblättert wird: Odin interessierte sich für mein Amulett, aber er behauptete dann, es sei nicht das, das er gesucht hat, und verschwand - so.« Er schnipste einmal kurz mit den Fingern. »Viel Spaß beim Untersuchen des Kerzenwachses. Mit der Kerze hat er mich zu sich gelockt und anschließend wieder fortgeschickt, nachdem er sich selbst in Wohlgefallen aufzulösen geruhte. Kennst du ihn näher, Zamorra? Wenn du ihn mal wieder triffst, kannst du ihm ausrichten, daß ich’s nicht mag, so behandelt zu werden.«
»Das muß ausgerechnet dieser Wunderknabe sagen«, murmelte Tendyke so leise, daß nur Zamorra es hören konnte.
Yves schob sich an-Scarth vorbei zur Tür hinaus, aber dort drehte er sich noch einmal um.
»Vielen Dank für Ihre großzügige Unterstützung, Mr. Tendyke«, sagte er ironisch. »Und - an Ihrer Stelle würde ich mal was gegen diese Mottenplage tun. Schön sehen diese riesigen graubraunen Biester ja nicht gerade aus, die hier überall herumwimmeln…«
»Sage ich doch«, murmelte Butler Scarth.
Im nächsten Moment war der Schatten fort.
***
Angeiique Cascal schlotterte vor Kälte. Sie hatte die Ruine verlassen und war in die frostige Nacht hinausgetreten. Hier lag Schnee, und das silberhelle Mondlicht zeigte ihr in allen Himmelsrichtungen Berge, deren Hänge und Gipfel von dem weißen Leichentuch des Winters überzogen waren.
Sie wünschte Europa zum Teufel.
Der winterlichen Kälte wegen, die in Louisiana so intensiv nie zu spüren war. Und der Zeitverschiebung wegen, die sie vom Nachmittag direkt in die Nacht versetzt hatte.
Aber… das hier war niemals Frankreich!
Solche Gebirgsmassive gab es dort ganz bestimmt nicht. Und unter Zamorras Loire-Schloß hatte sie sich auch etwas ganz anderes
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