0566 - Odins Zauber
vorgestellt, nicht diesen unbewohnten, verfallenen Kasten aus uraltem Gestein.
Aber hatten Nicole und Zamorra nicht immer behauptet, es handele sich bei ihrem Château nicht um eines jener romantischen Lustschlösser im Renaissance-Stil, sondern eher um eine Festung mit Wehrmauern, Türmen, Erkern und Zinnen?
Daß Angeiique, die Château Montagne noch nie gesehen hatte, sich in ihrer Fantasie eine völlig falsche Vorstellung des Châteaus machte, war ihr nicht klar. Auch nicht, daß sie den Fehler begangen hatte, sich vor dem Transport durch die Regenbogenblumen nicht an Personen zu orientieren, sondern an dem Bauwerk!
Jetzt sah sie an einem der Berghänge ein weiteres düsteres Bauwerk. Es war eine Burg, aber keine Ruine wie das Gemäuer, in dem sie aufgetaucht war. Trotzdem brannte kein Licht, und die Burg lag in tiefster Dunkelheit.
War das ihr Ziel?
Angeiique schüttelte den Kopf. Allmählich dämmerte ihr, daß die Regenbogenblumen die Zielangabe verwechselt haben mußten. Sie war nur in der Nähe des Châteaus aufgetaucht, statt direkt vor Ort…
Oder…?
War das Bauwerk am Hang, das sie dort, weit entfernt im Mondlicht, sah, auch nicht Château Montagne? War sie an einem völlig falschen Ort angekommen?
Sie fand den Fehler nicht, weil sie ihn nicht bei sich selbst suchte.
Und sie traute sich auch nicht zu, sich in der Winterkälte und der Dunkelheit auf den Weg zu jenem dunklen Bauwerk zu machen, das sie dort hinten in der Ferne sah.
Ihr Versuch, Zamorra mittels der Regenbogenblumen zu erreichen, war zunächst gescheitert.
Sie beschloß, zurückzukehren.
Aber da gab es ein Problem.
Sie war durch ein Labyrinth von Gängen und über einige Treppen, die auf- und abführten, ins Freie vorgedrungen.
Jetzt wußte sie nicht mehr, wie sie durch dieses Labyrinth wieder zu den Blumen zurückkommen sollte.
Fassungslos und von der Kälte wie gelähmt stand sie da und fand ihren Weg nicht mehr…
***
»Der Junge hat sich zu einem geradezu liebenswerten Zeitgenossen entwickelt«, murmelte Rob Tendyke. »Bei seinen früheren Besuchen hat er sich wesentlich besser benommen. Außerdem - woher sollte dieser Dämon, den er umgebracht haben will, wissen, daß ich den Ju-Ju-Stab habe? Bis zu den Höllischen dürfte sich das kaum herumgesprochen haben.«
Zamorra hob die Schultern. »Wichtiger ist mir die Sache mit Odin. Wenn der tatsächlich wieder aufgetaucht ist…«
»Du willst dich um die Sache kümmern, nicht wahr?«
Zamorra nickte.
»Wohl ist mir dabei nicht. Eigentlich möchte ich ihm lieber nicht noch einmal begegnen. Er ist…«
»Was?«
Zamorra suchte die richtigen Worte.
»Ein alter germanischer Gott«, sagte er. »Aber ich will jetzt nicht, mehr darüber reden.«
Er erinnerte sich nur zu deutlich an jene entsetzlichen Augenblicke, in denen er Odin gegenübergestanden hatte. Er hatte die Macht des Asen gespürt, die gewaltige, beeindruckende Aura.
Er erinnerte sich an die Angst, die er gespürt hatte, diese unheimliche, unbezähmbare Angst. Er wollte das nie wieder erleben, diese Angst vor…
Odins Allmacht?
Aber wenn Odin tatsächlich wieder in dieser Welt wandelte, blieb ihm nichts anderes übrig, als herauszufinden, was der Ase wollte. Odin war unberechenbar und gefährlich, und es war nicht immer genau zu sagen, ob er als Freund oder Feind kam, wenn er auftauchte.
Dagegen war Cascals Forderung nach dem Ju-Ju-Stab geradezu belanglos. Es hätte Tendykes Frage nicht bedurft, um zu wissen, was Ombre damit wollte: sich an Lucifuge Rofocale rächen!
Der Ju-Ju-Stab wirkte gegen jeden echten Dämon, und zu denen gehörte Lucifuge Rofocale nun mal an erster Stelle. Halbdämonen, Dämonisierte, Zauberer, Hexen, Werwölfe, Vampire… auf die sprach diese Waffe nicht an - es sei denn, sie waren dämonischer Herkunft, wie etwa der Vampirdämon Sarkana.
Bei echten Dämonen reichte schon eine leichte Berührung mit dem Stab, um sie zu vernichten. Es gab keinen Schutz, keine Abwehr.
Zamorra hatte den Ju-Ju-Stab vor vielen Jahren im brasilianischen Dschungel von dem sterbenden Voodoo-Zauberer Ollam-onga erhalten. Später war der Stab zunächst Magnus Friedensreich Eysenbeiß in die Hand gefallen, der damit Lucifuge Rofocale in die Flucht schlug und sich vorübergehend selbst auf den obersten Höllenthron setzte.
Als ein dämonisches Tribunal Eysenbeiß absetzte und seinen ursprünglichen Körper vernichtete, hatte der Dämon Astardis den Stab an sich genommen - der einzige Dämon, der hierzu imstande
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