0566 - Odins Zauber
Kopf.
»Ich… ich weiß nicht«, sagte sie leise. »Vielleicht… besser nicht.«
Sie fühlte sich innerlich zerrissen. Und ausgerechnet sie nannte Julian ein Kind, das erst noch erwachsen werden mußte? War seine Entscheidungskraft möglicherweise nicht längst größer als die ihre?
Aber das hier war etwas anderes. Sie wollte sich nicht überrumpeln lassen.
Auch nicht von Julian.
Sie war froh, daß er es akzeptierte und sie nicht über Gebühr bedrängte.
»Ich bringe dich nach Spooky Castle zurück«, sagte er. »Direkt zu den Regenbogenblumen. Dann holst du die Kerze, damit ich sie mir ansehen kann. Aber wenn du zurückkommst -zieh dich etwas wärmer an, ja? Ich werde vielleicht nicht da sein, um dich sofort abzuholen, ich bin nämlich ein wenig müde. Hier ist’s späte Nacht, und ich habe mich dieser Region angepaßt.«
Es war eine Abfuhr, die sie deutlich registrierte.
Er zahlte es ihr heim.
»Ich hole nur die Kerze und komme sofort zurück«, versprach sie.
Julian schüttelte den Kopf.
»Ich bin müde«, wiederholte er. »Warte ein paar Stunden.«
»Dann bin ich müde.«
Er zuckte mit den Schultern. »Einigen wir uns auf eine Zeit, zu der wir beide wach sind. Ich komme morgen zu dir nach Baton Rouge. Wenn du aufwachst, werde ich da sein.«
Sie starrte ihn an.
Er lächelte wieder. »Ich werde da sein«, wiederholte er.
Augenblicke, ehe er sie über seine Traumbrücke wieder in die Ruine brachte, sah sie noch einige Papierblätter, die ihr vorher nicht aufgefallen waren. Sie lagen am Boden verstreut.
Bleistiftzeichnungen.
Sie zeigten Schmetterlinge.
Aber noch ehe sie Julian danach fragen konnte, befanden sie sich bereits in Spooky Castle.
Angelique fühlte die Regenbogenblumen mehr, als sie sie sah. Der hell leuchtende Mond war weitergewandert, und das Licht drang nicht mehr durch den schmalen Schacht, der durchs Mauerwerk hierher führte.
»Bis morgen, Angeiique«, sagte Julian leise.
Sie spürte seine Lippen auf ihrer Wange.
Ganz kurz nur…
Dann war er fort.
Sie trat zwischen die Regenbogenblumen. Sie hoffte, daß sie diesmal richtig funktionierten, und wünschte sich in den Hinterhof in Baton Rouge.
Der Transport erfolgte präzise und ohne Komplikationen.
***
Yves Cascal gefielen diese eigenartigen Insekten nicht.
Er hatte nie zuvor solche häßlichen, riesigen Motten gesehen. Gab es solche Viecher überhaupt auf der Erde, oder gehörten sie gar nicht hierher?
Stammten sie vielleicht aus einer anderen Welt?
Von einem jener Planeten fern der Erde, getrennt durch Zeit und Raum, zu denen Zamorra und seine Freunde durch die sagenhaften Weltentore Zugang hatten?
Wenn einer von ihnen diese handgroßen, häßlich-braunen Motten von dort mit hierher zur Erde gebracht hatte - oder was auch immer es für Flattertiere waren -, konnte Yves demjenigen nur die größte Geschmacklosigkeit bescheinigen.
Außerdem - stimmte mit diesen Biestern etwas nicht.
Vorhin, als Yves in Tendyke’s Home eingetroffen war, hatte er von weitem einen der Peters-Zwillinge gesehen. Das war geradezu unvermeidlich gewesen, da das Fenster, in dem das blonde Mädchen gesessen hatte, unmittelbar in Richtung der Regenbogenblumen lag.
Aber die Blonde hatte nicht auf die Blumen geachtet. Ihr war gar nicht aufgefallen, daß sich Ombre genähert hatte, denn sie war völlig versunken gewesen in den Anblick der vor ihr tanzenden häßlich-braunen Riesenmotte.
Und um das Haus herum flatterten noch mehr davon, mindestens ein Dutzend, wenn diese Schätzung nicht sogar erheblich untertrieben war. Für jemanden, der sich vor großen Insekten fürchtete, war das sicher alles andere denn angenehm, und Ombre kannte kaum einen Menschen, der nicht mit Unbehagen reagierte, wenn Insekten eine bestimmte Größe überschritten.
In Südamerika gab es Falter, die immerhin eine Flügelspannweite von sechs bis sieben Zentimetern erreichten, in Idealfällen sogar noch mehr. Wenn diese Biester - sorgfältig präpariert und in Schaukästen aufgespießt -in einer Privatsammlung oder im Museum zu sehen waren, war das eine Sache, wenn sie aber in natura um einen herumbrummten, bekam selbst der Hartgesottenste unwillkürlich eine Gänsehaut.
Das allein war es jedoch nicht, was Ombre so unheimlich an diesen Biestern fand. Nicht ihre Größe und auch nicht die Tatsache, daß Motten dieser Größe nördlich des Äquators nichts zu suchen hatten.
Es war auch nicht die große Zahl dieser Insekten.
Da war noch etwas anderes, das er aber
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