057 - Im Banne des Unheimlichen
aufzugeben.«
Er musterte Toby mit einem bewundernden Blick. »Wie sehen Sie denn aus? Es ist doch nicht Ballsaison jetzt!«
Toby trug einen etwas altmodischen Frack und ließ eine ungeheure Fläche weißer steifer Hemdbrust sehen.
»Ich komme von Madame La Florette, die heute in ihrem frisch gemieteten Palais am Portland Place den ersten Empfang gegeben hat. Nun, es war recht interessant bei Jenny - Jenny Hamshaw ist nämlich gutes Englisch für La Florette. Doch was möchten Sie eigentlich von mir wissen?«
»Ich möchte noch einige Auskünfte über Laffin haben.«
»Oh, über den gibt es eine Menge zu erzählen. Laffin hatte heute abend eine Unterredung mit Kapitän Harvey Hale, dem alten Seemann. Übrigens, was ist aus unserem ungestümer jungen Freund, Mr. Holbrook, geworden? Hat er die Verabredung eingehalten?«
»Ja.«
»Ich dachte mir's. Und er ist lebend zurückgekehrt? Es ist anzunehmen, da Sie nicht sonderlich aufgeregt sind. Fand er Tinker?«
»Ja. Woher wußten Sie das?«
»Ich nahm es an. Lebend oder tot?«
»Tot«, antwortete Bullott.
Toby nickte bedächtig.
»Ich fürchtete, daß es so kommen würde.«
»Marsh, Sie wissen mir ein wenig zuviel von all diesen Dingen«, meinte Bullott, in dem der Argwohn nie ganz zur Ruhe kam.
»Das habe ich mir selbst schon gedacht.« Toby seufzte. »Ich kann wegen der dummen Geschichte schon nicht mehr schlafen. Letzte Nacht habe ich nur von den Söhnen von Ragusa geträumt.« Er betrachtete den Inspektor eine Weile starr, dann fragte er plötzlich: »Sind Sie kräftig?«
»Ziemlich. Warum?«
»Könnten Sie vier Stunden lang bei dreißig Grad Hitze schwere körperliche Arbeit verrichten?«
»Warum, zum Teufel?« wiederholte der Inspektor verblüfft.
»Weil ich es wissen möchte. Glauben Sie, daß Sie so etwas aushaken würden?«
»Ich denke schon, ich bin von recht guter Gesundheit. Aber was ist das schon wieder für ein Rätsel? Können Sie denn überhaupt nie geradeheraus sagen, was Sie meinen, Marsh?«
»Nur wenn ich mich für unschuldig erkläre«, sagte Toby.
Ohne es vorher abgesprochen zu haben, hatten sie den Weg zu Bullotts Haus eingeschlagen. Dort angekommen, stießen sie im Korridor auf Bill.
»Soll ich Ihnen, Mr. Holbrook«, sagte Toby, »Stoff für eine pikante Berichterstattung liefern? Die Presse war nämlich auf dem heutigen Empfang von La Florette überhaupt nicht vertreten. Warum? Dr. Laffin hatte den ausdrücklichen Wunsch geäußert, daß keine Reporter eingeladen würden.«
»War denn Laffin auch dort?« fragte Bill.
»Natürlich nicht. Also hören Sie! Es war eine großangelegte, in unglaublich kurzer Zeit arrangierte Sache. Der Ballsaal im Haus am Portland Place war so überfüllt, daß an Tanzen nicht zu denken war. Und diese Menge von Leuten ist in ganz ungehöriger Eile zusammengetrommelt worden. So hörte ich zum Beispiel, daß man die berühmten Opernkräfte telefonisch eingeladen hatte. Die neu eingestellte Dienerschaft hatte alle Hände voll zu tun. Das Büfett besorgte der teure Bazzley. Was halten Sie davon? Die Gastgeberin fand ich schließlich im neuen Spielsalon im Erdgeschoß. Sie war in Begleitung eines hochgewachsenen grauhaarigen Herrn, der sie nicht aus den Augen ließ. Es war Sir Richard Paxton vom Finanzministerium ...«
»Was wollte denn der unter dem Gesindel?« fragte Bill.
Das überlegene Lächeln, das Tobys Lippen umspielte, hatte für einen wohlunterrichteten Reporter, wie Holbrook einer zu sein glaubte, etwas Beleidigendes.
»Sie hätten noch vor ein paar Monaten Sir Richard jeden Tag in der vordersten Parkettreihe des Theaters sehen können, in dem La Florette auftrat. Und das ging so über mehr als zwei Jahre hin!« Toby machte eine Pause. »Aber das ist noch nicht alles. Etwas später tauchte der Theaterregisseur Charles van Campe auf und nahm La Florette beiseite. Ich stand gerade in der Nähe des Büfetts, so geschickt durch einen Wandschirm getarnt, daß ich jedes Wort ihres Getuschels mühelos verstehen konnte. ›Mein Kind, das ist ja alles ganz schön‹, sagte van Campe, ›aber ich hoffe, du hast mit Dr. Laffin alles so geregelt, daß wir nicht in Schwierigkeiten geraten. Hat er dir eigentlich Geld gegeben?‹ Ich verstand nicht, was für eine Summe sie nannte, da im gleichen Moment eine Tasse schepperte. ›Das reicht ja nicht einmal zur Bezahlung des zerschlagenen Geschirrs‹, hörte ich van Campe sagen. ›Du solltest dich sofort mit ihm in Verbindung setzen und die Sache
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