057 - Schreckensmahl
die Gelegenheit des Zusammentreffens
mit Mrs. Biller, ein Gespräch zu beginnen. Geschickt steuerte sie schließlich
die Unterhaltung in eine Richtung, die ihr genehm war.
Sie wollte gerne mehr wissen über das scheinbar
geheimnisvolle Haus der alten Mrs. Moorefield.
»Verkaufen sie es wieder«, lautete die Entgegnung Mrs. Billers.
»Das ist das Beste, was Sie tun können! Sie dürfen mir eins glauben: Der Besitz
dieses Hauses hat noch niemandem Glück gebracht!«
Wenn sie sprach, rollte sie die Augen, und auf ihrem
Gesicht erschien ein Zug von Wichtigkeit, der Joan Berry abstieß.
»Aber warum ist das so?« fragte die junge
Schauspielerfrau.
»Das Haus ist verhext! Seit Generationen schon gehört es
den Moorefields.
Keiner wollte es haben. Es ist hier im Ort bekannt, daß
auf dem Namen der Moorefields ein Fluch lastet!«
»Unsinn!«
Mrs. Biller rollte ihre Augen und zupfte Joan Berry am
Ärmel. Mit leiser Stimme sagte sie: »So haben auch schon andere gesprochen.
Aber nachher haben sie’s geglaubt.
Dann allerdings war es schon zu spät.«
Joan Berry mußte zugeben, daß sie aus diesem ungereimten
Zeug nicht klug wurde. Mrs. Biller, die zu Fuß ins Dorf gekommen war, ließ sich
gern in dem Wagen der jungen Frau mitnehmen. Immerhin war es bis zum Haus von
Mrs. Biller ein Fußmarsch von rund vier Meilen.
Das Wetter für einen solchen Spaziergang war recht gut.
Es war nicht mehr so schwül wie gestern, die Sonne brannte nicht vom Himmel.
Eric meuterte ein bißchen, als seine Mutter von ihm verlangte, sich auf den
Rücksitz zu setzen. Die Nachbarin lächelte ihm zu.
»Ein netter Junge«, sagte sie.
Joan Berry nickte nur. Sie stieß aus der Parklücke und
fuhr dann langsam durch die Allee. Die schattigen Bäume säumten zu beiden
Seiten die Straße.
»Sie sollten mir alles sagen, Mrs. Biller«, begann Joan
noch mal. »Sie müssen verstehen, daß ich Ihren unbewiesenen Bemerkungen
ziemlich skeptisch gegenüberstehe.
Was bezwecken Sie wirklich mit Ihren Andeutungen, Mrs.
Biller?« Joan Berrys Gesicht war ernst, und ihrer Stimme haftete eine gewisse
Schärfe an.
»Ich will Ihnen helfen.« Ein trauriger Ausdruck lag auf
ihrem Gesicht. »Ihnen soll es nicht so ergehen, wie es mir erging.«
Joan Berry wandte den Kopf. Mrs. Biller saß neben ihr mit
zusammengesunkenen Schultern. Ihre Augen schimmerten feucht. »Was ist Ihnen
passiert, Mrs. Biller?«
»Ich muß ein wenig ausholen.«
Die ältliche Dame sprach jetzt sehr leise, und hin und
wieder warf sie einen scheuen Blick zurück, um sich zu vergewissern, ob der
Junge nicht mithörte. Doch Eric war beschäftigt. Er kniete auf dem Rücksitz und
starrte auf das graue Band der Straße, wo sich die Licht- und Schattenflecke
des Blätterdaches wie ein fremdartiges, bizarres Muster abzeichneten.
»… der letzte Vorfall ereignete sich vor zwei Jahren. Die
leidtragende Familie waren diesmal wir. Keine Fremden, wie es oft zuvor
geschah. Mein Bruder war Maler. Seine Bilder wurden in Kollektivausstellungen
in vielen Teilen des Landes und auch im Ausland erfolgreich gezeigt. Schon
immer faszinierte es ihn, das als Hexenhaus verschriene Gebäude der Moorefields
zu malen. Heimlich ließ er sich in der Stadt einen Nachschlüssel für das große
Haupttor anfertigen, das seit dem Wegziehen der letzten Familie wieder fest
verschlossen war.
Ohne unser Wissen ging er tagtäglich hinüber, brachte
Studien auf das Papier und skizzierte das Haus aus allen nur möglichen
Blickwinkeln, um den für ihn maßgeblichen Eindruck zu gewinnen. – Von diesen
Dingen allerdings erfuhren wir erst nach seinem Tod. Die Notizen fanden sich in
seinem Tagebuch.«
Mrs. Biller kramte in ihrer abgegriffenen Handtasche,
zupfte ein parfümiertes Taschentuch heraus und tupfte sich über die
schweißnasse Stirn. »Der langen Rede kurzer Sinn: Mein Bruder, so stellte sich
später heraus, hat über einen Zeitraum von vier Wochen das gesamte Grundstück
durchstreift. Doch nicht mal damit gab er sich zufrieden. Obwohl er den Ruf des
Hauses kannte, muß es ihn ungemein gereizt haben, dort einzudringen.« Joan
Berry lächelte mitleidig. Mrs. Biller tat so geheimnisvoll, als befände sich im
Moorefield House der leibhaftige Satan, der ihrem Bruder dort begegnet sei.
»In seinem Tagebuch befanden sich genaue Beschreibungen
der Räumlichkeiten, die er vorgefunden hatte. Dabei erwähnte er besonders die
Zimmer in der ersten Etage. Es ist allgemein bekannt, daß diese Zimmer in den
drei Jahrhunderten immer von
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