057 - Schreckensmahl
Menschen hier lebten mit einer eigenen Art
des Aberglaubens.
Sie fragte sich, weshalb die Polizei sich nicht weiter um
die Angelegenheit gekümmert hatte, wenn auch nur der geringste Verdacht
gerechtfertigt war, daß Dave Hurl nicht auf natürliche Weise starb.
Sie schalt sich im stillen eine Närrin, daß es ihr nicht
gelang, mit ihren Gedanken von diesen Dingen wegzukommen.
Joan Berry ging früh schlafen.
Sie ließ die Tür zum Zimmer des kleinen Eric offen.
Das gleichmäßige Atmen des Kindes in dieser Stille gab
ihr das Bewußtsein, nicht allein in diesem großen Haus zu sein, in dem schon
sechs Moorefields-Generationen gelebt hatten.
Nachdem sie eingeschlafen war, arbeitete ihr
Unterbewußtsein weiter.
Ihr Gehirn verarbeitete die Andeutungen Mrs. Biller zu
einem Alptraum.
Joan Berry sah sich in der großen, holzgetäfelten
Bibliothek vor dem brennenden Kamin sitzen. Es war eine kalte Nacht, und sie
konnte keinen Schlaf finden. Draußen tobte der eisige Sturm und rüttelte an den
winzigen Fenstern, pfiff durch Ritzen und Löcher im Dach. Es polterte und
klopfte im Gebälk.
Die Holzscheite im Kamin knisterten, und Funken sprühten.
Mit hellem Sirren zogen die Funkenschwärme den Kamin
empor. Angst erfüllte mit einem Mal die junge Frau, als sie sah, daß diese
winzigen Funken ihr eigenes Leben führten, daß sie Form und Gestalt eines
Menschen hatten!
Hexen! Winzige Hexen stiegen aus dem Kamin empor.
Auf flammenden Besenstielen ritten sie in den
nächtlichen, sturmzerrissenen Himmel.
Plötzlich flog eines der Fenster auf. Eine Windbö riß
Joan Berry das Buch aus der Hand. Mit bösartigem Lachen huschte eine schattige
Gestalt durch das Fenster und umkreiste sie, ohne dabei auch nur ein einziges
Mal den Boden zu berühren.
Es war ein abscheuliche, widerwärtige Frau.
Joan Berry wußte, daß es sich um Mrs. Moorefield
handelte.
Mrs. Moorefield war eine der Hexen, die sich hier zum
nächtlichen Sabbat zusammengefunden hatten, um eine Schwarze Messe zu feiern.
Das welke, runzlige Gesicht der Alten kam ganz nahe an
sie heran. Joan Berry war wie gelähmt. Sie öffnete den Mund zum Schrei, aber
kein Laut kam über ihre Lippen.
Das unheimliche Kichern der zahnlosen Alten erfüllte den
Raum und mischte sich in das Heulen des Sturms, der die Einrichtung
zerschmetterte und die Fensterscheiben klirrend zerspringen ließ.
Mrs. Moorefield stieg von ihrem flammenden Besenstiel.
Die Augen der Alten glühten, und Joan Berry hatte das Gefühl, den Blick einer
Raubkatze zu erwidern.
Mrs. Moorefields gebogene Nase ragte wie ein kräftiger
Haken aus dem häßlichen, narbigen Gesicht.
Wie ein Schwert hielt sie plötzlich den Besenstiel in der
Hand, und unter ihrem drohenden Murmeln wurde das Holz zu Stahl, zu einer
geschliffenen, messerscharfen Schneide, die durch die Luft sauste. Joan Berry
wußte, daß in der nächsten Sekunde ihr Kopf als Opfer für den Satan gebraucht
wurde!
Ein Schrei entfuhr ihren Lippen.
Sie konnte nicht fliehen, sie war verloren.
Da wachte Joan auf. In Schweiß gebadet. In der ersten
Sekunde war sie unfähig zu begreifen, daß alles nur ein Traum gewesen war.
Denn in ihrer Umgebung gab es etwas, was in diesem Traum
hineingespielt hatte, und was auch jetzt nicht verschwand.
Die Geräusche!
Das Pfeifen, das Poltern in den Räumen über ihr, das
Heulen des Sturms in den Dachritzen!
Ein Stöhne n entrang sich den Lippen der jungen Frau.
Sie brauchte eine volle Minute, ehe ihr bewußt wurde, daß
die Geräusche von einem sich abermals austobenden Unwetter stammten. Dem
zweiten an diesem Tag.
Ein kalter Luftzug streifte ihr Gesicht. Die Vorhänge
flatterten heftig. Joan Berry erhob sich, eilte aus dem Bett und verschließ das
Fenster, das der Sturm aufgedrückt hatte. Große Tropfen schlugen an die
Scheibe, hinter der sie minutenlang stand und mit brennenden Augen
hinausstarrte in die Nacht.
Der Traum ging ihr nicht aus dem Kopf, so sehr sie sich
auch bemühte. Lange noch lag sie wach, wälzte sich unruhig im Bett und fand
keinen Schlaf.
Das Donnern verebbte, der Regen hörte auf. Was blieb, war
der Wind, der sich um das Haus herum austobte, die Baumwipfel zur Seite drückte
und im Dachstuhl heulte und pfiff.
Und irgendwie, so kam es Joan Berry vor, stimmte auch
etwas in den Räumen über ihr nicht. Es polterte, als würde jemand die gesamte
Einrichtung demolieren.
Unwillkürlich hob Joan Berry den Blick zur Decke, als
erwarte sie, Regenwasser könne jeden Augenblick auf sie
Weitere Kostenlose Bücher