0572 - Terror der Vogelmenschen
uns übrig hat«, schlug ich vor.
In der Großstadt merkte man es nicht so. Ich aber war überrascht, wie schnell es in der Natur hell wurde. Die Formation der Insel schien sich aus dem Zwielicht herauszuschieben und nahm immer klarere Linien an. Jetzt sahen wir auch die Schafe.
Obwohl nicht eingezäunt, standen sie dicht zusammen. Wahrscheinlich schützten sie sich so gegen den Wind, der ziemlich böig in die Mulde wehte.
Er strich über die Rücken hinweg und ließ die Wolle des Pelzes zittern.
Wir hatten den Schäfer noch nicht gesehen, er uns aber. Der Mann mußte gute Augen haben. Er verließ seinen Platz vor der Hütte und schlenderte auf uns zu.
Wir konnten durch die offene Tür schauen und sahen in der Hütte die Flammen eines kleinen Feuers.
»Jetzt müssen wir ihm nur erklären, wie wir auf der Insel gelandet sind«, murmelte Suko.
»Das mache ich schon.«
»Aber nicht als Schiffsbrüchige. So wie wir aussehen, nimmt uns das keiner ab.«
»Genau.«
Ich grüßte höflich, auch Suko sagte seinen Spruch auf, und der Schäfer nickte zurück.
Erste Sonnenstrahlen krochen über den Rand der Mulde hinweg und erreichten auch den Grund, wobei wir uns etwas zur Seite drehten, da wir nicht geblendet werden wollten.
Der Schäfer schaute uns an. »Fremde sind selten«, sagte er.
»Hier auf der Insel bestimmt. Wir sind aus Fishguard herübergekommen.« Es war der Ort, der mir gerade einfiel.
»Eine weite Strecke.«
»Stimmt. Unser Boot liegt unten im Hafen.« Ich hoffte nur, daß es einen gab.
Der Schäfer nickte. »So früh schon?«
»Wir haben uns etwas verschätzt. Urlauber aus der Großstadt sind eben keine Naturmenschen.«
Er nickte wieder. Ob er uns glaubte, war fraglich. Zumindest sagte er uns nichts Gegenteiliges.
»Kommt mit in meine Bude. Ich habe frischen Kaffee gekocht. Auch für Großstädter.«
»Oh, danke.«
Wir hatten den Duft schon gerochen. Der Kaffee befand sich in einem Kessel, und der wiederum schaukelte über dem Feuer, das innerhalb eines Steinvierecks brannte.
Die Tassen bestanden aus dickem Porzellan und waren ohne Griffe. Aus einem alten Regal, der Schlafstätte gegenüber, holte er sie hervor. Die Hunde waren draußen geblieben. Sie hatten wieder ihre normale Arbeit zu verrichten, das Umkreisen der Herde und damit auch den entsprechenden Schutz der Tiere.
»Wenn ihr etwas essen wollt, ich habe noch Brot. Die Eier habe ich leider selbst gegessen.«
»Nein, ein Kaffee reicht schon.«
Er schenkte die Tassen voll und stand dabei im Gegenlicht des Feuers, so daß wir ihn jetzt besser erkennen konnten. Der Schäfer gehörte zu den jüngeren Menschen. Es gibt ja eine gewisse Zahl von Aussteigern, die den Beruf des Schäfers für das Höchste überhaupt halten. Zwar machte der rotblonde Vollbart ihn älter, aber meiner Ansicht nach konnte er nicht älter als dreißig sein.
»Danke«, sagte ich und merkte, daß die Wärme des Kaffees allmählich die Wand der Tasse durchdrang.
Wir hatten uns auf Holzkisten gesetzt. Der Schäfer schlug seinen weiten Mantel zurück und nahm uns gegenüber Platz. »Ich komme übrigens auch aus der Großstadt«, erklärte er zwischen zwei schlürfenden Kaffeeschlucken.
»Woher?« fragte Suko.
»Liverpool.«
»Das ist nicht so weit wie London.«
»Nein, bestimmt nicht.« Der Mann schaute über den Rand der Tasse hinweg gegen das Feuer. Selbst im Widerschein der Flammen wirkte sein Gesicht leer und die Augen ebenfalls.
»Ich heiße übrigens John Sinclair«, nahm ich den Gesprächsfaden wieder auf. »Das ist mein Freund Suko.«
»Ich bin Monty Heller.«
»Sind Sie schon lange auf der Insel?«
Er hob die Schultern. »Was ist schon Zeit? Was bedeutete sie? Für den einen sehr viel, für mich wenig oder überhaupt nichts. Ich lebe hier, das ist es. Und ich lebe gut. Ich bin allein und nur meinen Tieren gegenüber verantwortlich. Wissen Sie eigentlich, daß Tiere die ehrlichsten Geschöpfe sind, die man sich vorstellen kann?«
»Das stimmt«, sagte Suko.
»Tiere verraten sie nie. Tiere lügen nicht, sie sind nicht falsch, nur manchmal eigen. Menschen sind da anders.« Er stellte seine Tasse weg. »Ihr übrigens auch.«
»Wieso?«
»Ihr habt mir weismachen wollen, vom Hafen zu kommen, wo angeblich euer Boot liegt. Das stimmt nicht. Ihr seid aus der entgegengesetzten Richtung gekommen. Ich habe es gesehen.«
Jetzt klemmten wir fest. »Sie haben recht«, antwortete ich langsam, »doch wir schlugen einen Bogen.«
»Ach so. Dann seid Ihr auch
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