0573 - Die Lady und der Barbar
deutliches Bild: Ein Barbar, der keine Ahnung hatte, wie die Regeln und Gesetze einer Großstadt waren, und sich prompt in den Netzen der Versuchungen verfangen hatte. Gegen ihn würden eine Menge privater Klagen geführt werden, obwohl das Mädchen in der kleinen Bar aussagte, er sei deutlich provoziert worden.
Wenn es jemanden gab, der an der Schlägerei und den Folgen profitierte, so waren es die Rechtsanwälte.
„Sie hatten Glück, daß Sie ihre Waffen nicht benutzten, sondern mit den Fäusten kämpften!" sagte der Polizist und deutete mit einer Kopfbewegung auf Strahler, Bogen und Köcher.
„Die anderen hatten Glück, nicht ich", sagte Sandal. „Wenn man mich ‚Barbar' nennt, dann werde ich wütend. Ich nenne Sie ja auch nicht Knecht der Gewalt!"
Der Beamte lief rot an und holte tief Luft. Noch ehe er losbrüllen konnte, packte Derek Sandal am Ärmel und rief entschuldigend: „Er weiß wirklich nicht recht, wie er sich benehmen muß. Aber dies ist Unkenntnis und Hilflosigkeit, keine böse Absicht. Ich danke Ihnen, meine Herren - und sollte es noch offene Fragen geben, wenden Sie sich bitte an die Botschaft von Terra.
Kommen Sie, Sie Unglücksrabe!"
Er zog Sandal mit sich, der gerade noch seine Waffen packen und den Polizisten erleichtert zuwinken konnte. Sie sahen ihm fassungslos nach und wußten nicht recht, ob sie lachen oder fluchen sollten. Einer von ihnen sagte: „Unkenntnis und Hilflosigkeit... hilflos! Wenn ich das nur höre!
Er hat in der Bar gehaust wie ein Tornado!"
Vor dem Gebäude standen die unvermeidlichen Reporter. Sie richteten ihre Kameras auf die beiden Männer, die schnell auf den Gleiter der terranischen Botschaft zuliefen. Sandal schwenkte fröhlich seinen Bogen und schrie, ehe der Gleiter abfuhr: „Ich bin kein Barbar! Ich bin Sandal, der Leibwächter."
Die Türen schlugen zu, und die Fensterscheiben blieben geschlossen. Nach dreihundert Metern Fahrt sagte Derek: „Ich hätte es wirklich nicht für möglich gehalten, daß du dich so schnell eingeführt hast. Sieh bitte in den nächsten Tagen davon ab, mehr Publicity zu machen - wir haben sie nicht mehr nötig."
Sandal gähnte und sehnte sich nach Zahnbürste, Dusche und Bett. Er fragte: „Ich habe meine Rolle richtig gespielt?"
„Hervorragend!" stimmte Derek zu. „Jeder, der auch nur ein bißchen interessiert ist, wird dich jetzt auf fünf Kilometer gegen den Wind durch dunkle Gläser erkennen können. Und jeder weiß, daß du der Leibwächter von Orana Sestore bist."
„Dann kann ich also beruhigt schlafen?"
„Und niemand wird dich stören, Sandal!" versicherte Derek und grinste breit. Eine halbe Stunde später hielt der Gleiter vor dem kleinen, aber raffiniert ausgerüsteten Gästehaus der terranischen Botschaft.
*
Am nächsten Abend hatte Sandal ein anderes Ziel. Er suchte die Einsamkeit, wie er sich ausgedrückt hatte.
Das bedeutete für ihn, daß er entlang des breiten Kanals spazierte, an dem die teuren Hotels der Stadt standen. Der Kanal floß breit und ruhig dahin, auf seinem Wasser spiegelten sich Millionen Lichter, die man nicht mehr von den Sternen unterscheiden konnte.
Nach zweihundert Metern wechselte Sandal die Straßenseite, wich einigen Fahrzeugen aus, deren Lenker vermutlich leicht betrunken waren, und blieb an einer prunkvollen Treppe unter einem vorspringenden Baldachin stehen. Er beobachtete gespannt das Kommen und Gehen der gutgekleideten Hotelgäste.
Plötzlich weiteten sich seine Augen.
„Ich will nicht der Sohn von Burg Crater sein!" flüsterte er heiser, „wenn dies nicht die arme Schwester von gestern Abend ist, die dort sitzt."
Er sah schräg hinauf auf eine Terrasse, die ein orangegelbes Sonnensegel in kühnen Schwüngen zeltdachartig überspannte.
Niedrige Tische und tiefe Polstersessel befanden sich darunter.
Auf den Tischen bildeten Windlichter gelbe, runde Lichtkreise.
Ein angenehmer Schimmer nach Exklusivität und Gemütlichkeit lag über allem. Es waren ausnahmslos menschliche Kellner zu sehen.
„Sie ist es! Beim Großen Wall!" sagte Sandal.
Er beschloß, dieses Mal auf weniger aufwendige Weise ein bißchen Verwirrung zu stiften. Er ging in den Hoteleingang, gab Köcher, Waffengurt und Bogen gegen Quittung ab und fragte einen Hotelboy nach dem Weg zur Terrasse. Der junge Mann führte ihn hinaus, und er sah, zwölf Tische weit entfernt, tatsächlich das Mädchen von gestern Abend sitzen. Sie war einfach, aber ausnehmend geschmackvoll angezogen; sie trug einen
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