0574 - Der chinesische Tod
die Flammen zu dirigieren, die sich veränderten und sich über die beiden Ränder hinwegbogen, als wollten sie wie mit Armen in den Sarg hineingreifen.
Suko war verzweifelt. Er wußte nicht mehr, was er noch machen sollte. Dann schickte er einen Hilferuf auf geistiger Ebene los. Suko wußte, daß es jemand gab, der sich in einer anderen Dimension aufhielt, um dort eine Aufgabe zu erledigen.
Eine Frau, die ihm nahe gestanden hatte und immer noch nahestand. Shao war es, die letzte Nachfolgerin der langen Ahnenreihe der Sonnengöttin Amaterasu.
Es hatte schon Situationen gegeben, die für Suko zwar nicht begreiflich, aber lebensrettend gewesen waren. Unter gewissen Voraussetzungen, zumeist einem starken seelischen Streß, der dem Gefühl der Angst gleichkam, hatte er es geschafft, über Zeit und Raum hinweg Kontakt mit seiner verschwundenen Partnerin aufzunehmen.
Das versuchte er auch jetzt.
Es mußte ihm einfach gelingen. Wenn jemand seinen geistigen Hilfeschrei hören konnte, dann Shao.
Und so »schrie« er lautlos und auf geistiger Ebene ihren Namen.
Er hatte die Umwelt und sein eigenes Schicksal vergessen, jetzt wollte er nur eins: leben, nicht untergehn, nicht sterben. Der Schrei nach Leben peitschte in ihm auf.
Würde es die Botschaft tatsächlich schaffen, die kaum begreifliche und nicht zu messende Entfernung zu überbrücken?
Suko konnte nur hoffen, mit einem Wissen war da nichts zu machen. Er war verzweifelt, seine Gedanken konzentrierten sich dabei auf eine Richtung.
Und die Zwerge hockten noch immer auf ihm. Sie spielten mit den Flammen, ließen ihre Hände durch die Spitzen gleiten, als wollten sie sich daran die Finger wärmen.
Die ersten Feuerzungen hatten sie dermaßen weit vorgebogen, daß sie in den Sarg hineinschauten. Sie glitten bereits über Sukos Kleidung hinweg, ohne diese allerdings in Brand stecken zu können.
Trotzdem merkte Suko den Schmerz. Er erfaßte ihn nicht von außen her, sondern wühlte in seinem Innern, als hätten es die Flammen geschafft, sich darin zu konzentrieren, um sein Blut, die Adern, die Knochen zum Kochen oder Schmelzen zu bringen.
Der Inspektor schrie!
Auch er war nur ein Mensch, denn plötzlich hatte sich ein Teil der Starre gelöst.
Er konnte schreien!
Nein, es war ein Krächzen, nicht mehr als ein Wehlaut, obwohl es ihm vorkam wie ein mächtiger Schrei.
Aber man hatte ihn gehört!
Plötzlich war jemand im Raum. Eine Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet, in einem engen Trikot. Erschienen wie aus dem Nichts, mit einer Halbmaske vor der oberen Gesichtshälfte und bewaffnet mit einer schweren Armbrust.
Shao war da!
***
Suko glaubte trotzdem an einen Spuk, denn hinter den Flammenspitzen zeichnete sich Shaos Gestalt nur mehr wie ein zitterndes Etwas ab. Als wäre sie auf einer Leinwand abgebildet, bei der sich der Stoff heftig bewegte.
Suko konnte nicht länger hinschauen, denn die Flammen griffen stärker zu.
Auch Shao war nicht ohne.
Sie hatte innerhalb von Sekunden erfaßt, um was es ging. Plötzlich bewegte sie sich.
Über dem Sargrand hinweg schaute sie Suko an, kümmerte sich nicht um das Feuer, packte zu und zerrte den Inspektor mit einer gewaltigen Kraftanstrengung aus seinem Gefängnis hervor.
Die Zwerge wollten nachgreifen, klammerten sich an den Hosenbeinen fest, rutschten aber ab und fingen an zu heulen, als es Shao gelang, Suko aus der Gefahrenzone zu bringen.
Dann kämpfte sie.
Über die linke Schulter hinweg schaute der Rand des Köchers. Aus ihm wiederum lugten die Pfeile hervor, die Shao für ihre Armbrust benötigte. Wie sie den ersten Pfeil auf die Armbrust legte und diese spannte, ließ auf eine lange Routine und Kampferfahrung schließen.
Dann schoß sie.
Der erste Zwerg wurde erwischt. Der Pfeil drang aus seinem Rücken wieder hervor. Die Wucht schleuderte das Monstrum zu Boden, wo es zu dem zerfiel, aus dem es eigentlich geschaffen worden war.
Zu Staub!
Der zweite Zwerg sprang Shao an. Mit einem Tritt schaffte sie ihn sich vom Hals, hatte schon den nächsten Pfeil aufgelegt und durchbohrte den zweiten Zwerg.
Dem dritten ließ sie auch keine Chance.
Der letzte wollte wegrennen. Es sah komisch aus, wie er auf seinen kurzen Beinen dem Vorhang entgegenlief, um dort zu verschwinden.
Der Pfeil durchbohrte ihn, bevor er die Chance bekam, seine Existenz zu retten. Eine Wolke aus dünnem Lehm kroch an dem dunklen Stoff in die Höhe.
Gleichzeitig verlosch das Feuer. Die den Sarg umrahmenden Flammen fielen so schlagartig
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