0576 - Der ewige Feind
davon in seinem langen Leben erfahren. Der Haß hatte ihm stets ein vertrauteres Gesicht gezeigt.
Denn wer Macht besitzt, der wird gehaßt und nur selten geliebt. Und diese wenige Liebe ist dann auch fast immer nur geheuchelt.
Aber wer Macht besitzt, zu dem kommen Informanten und Verräter. Und deshalb wußte Norton, daß Boddhyr an diesem Tag in Carmarthen eine aufrührerische Rede halten würde.
Norton hielt es nicht mehr in London.
Gestern abend, als er die Information erhalten hatte, nur wenige Minuten nach Marinas Anruf, hatte er seine Leute in Bewegung gesetzt. Und er selbst befand sich nun bereits auch in Carmarthen.
Er sah plötzlich eine wenn auch geringe Chance, an Boddhyr heranzukommen und damit die ganze Prozedur gewaltig abzukürzen.
Er kannte das Risiko, das er einging. Aber er war dazu bereit.
Das Risiko war niemals geringer gewesen als jetzt, manchmal sogar noch größer.
Er hatte in den letzten Monaten versucht, es zu minimieren. Um so größer war seine Enttäuschung gewesen, als er feststellen mußte, daß Polizei und Inlandsgeheimdienst ihn nicht unterstützten. Er wußte jetzt auch, warum.
Weil sein Gegner schneller gewesen war und sie unter seine Kontrolle gebracht hatte!
Sie würden notfalls sogar einem Mord untätig zusehen und sogar vertuschen, was diese Auseinandersetzung betraf…
»Er hat gelernt, mein Feind«, murmelte Norton. »Er hat sich auf mein Vorgehen eingestellt und will mich mit meinen eigenen Waffen schlagen… Und doch kann er nicht aus seiner Haut, bleibt immer noch er selbst… mein alter Feind…«
Der Mann, der an seiner Herzseite stand, wandte den Kopf. »Sir?«
»Schon gut«, wehrte Norton ab, der jetzt erst bemerkte, ein paar Sekunden lang laut gedacht zu haben. »Aufpassen.«
Fünfzehn andere Männer warteten auf ihren Einsatzbefehl. Norton hatte sie hierher beordert, weil er hoffte, den langen Krieg endlich, mit einem letzten Schlag, beenden zu können.
Aber - verdammt! - es gab zu wenige Menschen hier.
Der Feind hatte wirklich gelernt. Früher war er regelrecht publikumsgeil gewesen, aber es gehörte schließlich auch zu seiner Rolle. Doch diesmal war er schlauer und erschien eine ganze Stunde früher als angekündigt, so daß nur erst wenige Menschen da waren, um seiner immerhin sorgfältig vorbereiteten Ankunft beizuwohnen.
Ich hätte daran denken müssen, dachte Norton. Später, wenn er seine Reden schwingt, um die Menschen in seinen hypnotischen Bann zu zwingen, wird alles bestens abgesichert sein. Dann schafft er es sogar, meine eigenen Leute zu hypnotisieren. Aber hier und jetzt… zu wenig Menschen…
Jeder andere hätte in diesen wenigen Zuschauern trotzdem noch genügend unerwünschte Zeugen gesehen. Norton nicht, sein Plan sah viele Menschen vor, denn seine Leute sollten nach der Tat zwischen ihnen im Gedränge verschwinden, nur funktionierte das nicht, wenn Boddhyr diese Menschenmenge unter seinen hypnotischen Einfluß zwang.
Deshalb hatte Norton jetzt zuschlagen wollen, zu einem Zeitpunkt, an dem sein Feind nicht damit rechnete.
Aber jetzt waren zu wenige Menschen Jiier!
Die beiden Wagen fuhren vor.
Norton ließ die Chance, zuzuschlagen, verstreichen. Die Fläche war zu offen, niemand konnte in einer größeren Menschenmenge untertauchen. Man würde seine Leute identifizieren und verfolgen können.
»Sir?« murmelte wieder der Mann links neben ihm.
Norton reagierte immer noch nicht.
Er sah zu, wie sein Feind das Hotel erreichte, sich plötzlich aber umdrehte und dann mit ausgestrecktem Arm auf jemanden zeigte, der abseits der wenigen anderen Zuschauer stand.
Boddhyrs Leibwächter marschierten los, auf zwei Männer zu, die auf der anderen Straßenseite standen.
In einem von beiden erkannte Norton plötzlich - Ted Ewigk!
Er kannte ihn vom Foto her. Persönlich waren sie sich nie begegnet, aber Norton war sicher, es mit dem Reporter zu tun zu haben, den er über Marina und deren Schulireundin Carlotta auf Boddhyr angesetzt hatte, um sich auf diesem Umweg selbst reinzuwaschen!
Jetzt aber schickte Boddhyr seine Schergen diesem Mann und seinem Begleiter entgegen.
»Eingreifen!« zischte Norton seinem Offizier zu. »Retten Sie die beiden Männer dort! Zumindest den mit der gepflegteren Frisur!«
Der Mann an seiner Herzseite riß sein Handfunkgerät hoch und sprach hinein.
Es ging los…
***
Gryf faßte sich mit beiden Händen an den Kopf, und Ted fuhr erschrocken zu ihm herum.
»Was ist los?« stieß er hervor.
»Er hat mich
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