0578 - Welten des Grauens
begann zu laufen.
Es war ein waghalsiger Balanceakt, denn die Mauerkronen waren kaum breiter als einen Meter. Die Gefahr, durch einen falschen Schritt oder Sprung abzustürzen, war groß, und in ihrem Zustand konnte sie vermutlich nicht schnell genug reagieren, um Verletzungen zu vermeiden.
Trotzdem wollte sie versuchen, die äußerste Begrenzung des Spielfeldes, den echten Rand des Bildschirmfensters, zu erreichen, ehe der Computer darauf reagieren und das Spielfeld mit ihr schwenken konnte, um sie immer in dessen mittlerem Bereich zu halten.
Aber dann…
... waren die dreihundert Sekunden um!
Und Nicole befand sich wieder unten, auf dem Labyrinthboden zwischen den Mauern der Korridore!
Und die Kugel rollte wieder…
***
Raffael Bois, der ›gute Geist des Hauses‹, wie der alte Diener jenseits des Rentenalters oft genannt wurde, sah anklagend zur Zimmerdecke. »Was hast du jetzt wieder angestellt, Drachenvieh?« seufzte er.
»Ich? Gar nichts!« zeterte Fooly empört. »Immer auf die Kleinen! Wieso sucht jeder immer die Schuld bei mir, wenn was schiefgeht?«
»Es wird wohl triftige Gründe dafür geben«, vermutete der alte Raffael vage.
»Ich konnte überhaupt nichts anstellen! Es ist, als wären die Tasten ganz abgeschaltet. Nichts funktioniert.«
»Systemabsturz«, diagnostizierte Raffael. »Da hilft nur Neustart. Hoffentlich müssen wir nicht das komplette System neu konfigurieren. Das wird ’ne Heidenarbeit, und die würde ich lieber diesem mysteriösen Mr. Hawk machen lassen. Der hat schließlich zuletzt an der Software herumgefingert und weiß am besten, was er da gemacht hat.«
Immerhin wußte Raffael auch recht gut Bescheid über die drei Pentium-Rechner. Es war erstaunlich, wie gut der alte Mann, immerhin schon jenseits der Neunzig, mit der hochmodernen und komplizierten Computertechnik und den Programmen zurechtkam. Allenfalls Nicole kannte sich in Teilbereichen ein wenig besser aus.
Zamorra überließ die Feinheiten den beiden, er arbeitete mit den Geräten, und wenn ein Problem auftrat, das über sein Anwenderwissen hinausging, bat er Nicole oder Raffael um Lösung desselben. »Ich muß nicht wissen, wie ein Computer oder sein Programm funktioniert«, hatte er mal gesagt. »Ich muß nur wissen, wo ich jemanden finde, der es weiß.«
»Wo stecken eigentlich der Professor und die Demoiselle?« wollte Raffael wissen.
»Sage ich doch! Sind beide verschwunden! Zamorra berührte einen Bildschirm und war weg. Mademoiselle Nicole habe ich erst gar nicht mehr gesehen.«
»Hm…« machte der alte Mann. Er warf einen Blick in Richtung der drei Bildschirme. »Verschwunden, sagst du. Bildschirm berührt und verschwunden… Weißt du, warum der Professor den Monitor berührte?«
»Nein«, erklärte der Drache. »Aber er wirkte etwas abwesend. Geistig, meine ich, und dann plötzlich auch körperlich.«
Raffael nickte. »Und du hast die Bilder auf den Monitoren betrachtet?«
»Natürlich. Die Figuren, die sich da bewegen, sehen aus wie Zamorra und Nicole und der große Leder-Cowboy. Sagte ich doch schon.«
Raffael nickte wieder. »Das ist nicht gut. Ich habe den Verdacht, daß eine böse Magie wirkt. Ich sollte vielleicht mal die Abschirmung des Châteaus überprüfen. Nein, das kann William machen. Du bleibst hier und paßt auf die Computer auf. Kann ich mich auf dich verlassen, Fooly?«
Er war in die Hocke gegangen und hatte sein Gesicht damit knapp unter Augenhöhe des Jungdrachen gebracht.
»Natür…« begann Fooly.
Raffael faßte zu und klappte ihm die Kiefer des Krokodilmauls zu. »Moment«, sagte er. »Ich meine es bitter ernst. Der Professor und Mademoiselle Nicole sind vermutlich in großer Gefahr. Vorläufig darf nichts - aber auch gar nichts! - an den Computern verändert werden. Auch du darfst nichts anfassen, mein Freund. Hast du verstanden? Gib gut acht! Versprichst du mir das? Ich muß mich wirklich auf dich verlassen können! Und zwar hundertprozentig! Keine Alleingänge, keine Mißverständnisse, die du in deinem Sinne auslegst, um Unfug anzustellen.«
»Hmm…mmhm…mmh…« machte Fooly.
»Wie bitte? Ach so…« Er ließ das Maul des Drachen wieder los.
»Du hast mich Freund genannt«, stammelte Fooly, als Raffael sein Maul wieder freigegeben hatte.
»Und ich habe dir eine Frage gestellt, Mr. MacFool!«
»Ich hab's verstanden, Monsieur Raffael«, sagte Fooly ernsthaft. »Ganz und gar verstanden. Wirklich.«
»In Ordnung«, sagte der alte Diener. »Ich gehe nach
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