0579 - Die Sturmrösser von Khe-She
Hohepriester. Dafür, daß Zardoz ihm seinen eigenen Willen zurückgab und ein neues Leben - denn der zwiefach Erleuchtete war schon sehr alt -, mußte er den Göttern des ORTHOS unmittelbar dienen und jeden ihrer Befehle erfüllen.
Und so lebte er jetzt in der Burgfestung, die ihn vor Angriffen neidischer Gegenspieler schützte. Hier war er sicher, und er besaß als Zauberer, der mit den Göttern sprach, große Macht.
Aber keine Macht ohne ihren Preis. Bedingungsloser sogar als die Priester in den Tempeln mußte er den dämonischen Finstergöttern dienen. Während die Priester Schrift und Glauben auslegen konnten zu ihrem eigenen Vorteil - die Hälfte der Opfergaben und der Macht für die Götter, die andere Hälfte für sie selbst -, war der Zauberer der Burgfestung nur ein verlängerter Arm seiner Götter.
Aber er war's zufrieden, gab es ihm doch die Möglichkeit, länger zu leben als jeder andere Sterbliche.
Und vielleicht würden die Götter ihn eines Tages endgültig zu sich rufen, und das war es ihm wert.
Wieder sah er in den Zauberspiegel. Die fliegenden Teppiche waren schon nah. Bald würden die Wächter auf den Zinnen sie bereits mit bloßem Auge sehen können und melden.
Der Zauberer, der seinen Namen vergessen hatte, seit er in der Burgfestung lebte und diente, nickte bedächtig. Bisher verlief alles zu seiner Zufriedenheit. Und das Schwert würde er auch bald in seinen Händen halten…
***
So ganz genau konnte Zamorra auch nicht sagen, warum er Fooly vertraute. Immerhin hatte Mr. Ungeschickt es schon oft genug fertiggebracht, aus einer Katastrophe eine riesige Katastrophe zu machen.
Aber in dem kleinen Kerl steckte weit mehr, als er normalerweise zeigte. Einige Male schon hatte Zamorra ihn inzwischen von einer ganz anderen Seite erlebt - so wie jetzt.
Wie das Unglück letztendlich passiert war, wußte Zamorra nicht, wollte es auch nicht wissen. Jedenfalls war Raffael gestürzt, und Fooly wollte ihm helfen. Irgendwie ahnte Zamorra, daß ihm das auch gelingen würde.
Deshalb nahm er das Risiko auf sich, Raffaels Abtransport zum Krankenhaus nach Roanne zu stoppen.
»Was soll das?« fuhr ihn einer der beiden Sanitäter an, als Zamorra den Innenhof des Châteaus betrat. »Ihre Sekretärin hat uns gerufen und angewiesen, den Mann in die Klinik zu bringen.«
»Es wird ja wohl nicht so eilig sein. Tragen Sie ihn bitte ins Haus zurück.«
»Und dann?« fragte der Sanitäter spöttisch.
Dann sehen Sie, wie sich ein Bonsai-Drache in Heilkunst versucht.
»Tun Sie erst mal, worum ich Sie bitte.«
»Wir müssen jetzt losfahren«, sagte der Sanitäter. »Wir haben keine Ewigkeit lang Zeit. Der Wagen wird möglicherweise in Kürze schon wieder gebraucht.«
Aus dem Innern des Wagens ertönte eine mürrische Stimme: »Monsieur le Professeur?«
Zamorra trat zu Raffael.
»Was soll das, Chef?« fragte der alte Mann leise. »Ich bin sicher, Sie haben einen Grund für Ihren Wunsch?«
»Habe ich«, sagte Zamorra.
»Dann holen Sie mich aus diesem Auto«, sagte Raffael. »Ich habe keine Lust, die letzten fünf Jahrzehnte meines bescheidenen Lebens in einem Krankenhaus zuzubringen, nur weil die dortigen Medizinmänner sich nicht über die Methode einigen können, wie ein gebrochenes Bein zu schienen ist.«
»Wir dürfen nicht…«, wandte der Sanitäter ein.
»Sie dürfen!« bellte Raffael und war in diesem Moment alles andere als der devote, zurückhaltende und überaus höfliche Diener, als den Zamorra ihn seit einer kleinen Ewigkeit kannte. »Ich habe Sie nicht gerufen, sondern die Sekretärin des Professors. Und wenn der Professor Sie jetzt fortschickt, dann tun Sie gefälligst, was er Ihnen sagt!«
»Auf Ihre Verantwortung, Monsieur…«
Raffael wurde wieder ausgeladen.
Auf Zamorras Schulter gestützt, humpelte er mit seinem Chef zurück ins Château. Der Krankenwagen fuhr davon.
»Wenn ich mir die Frage erlauben darf, Monsieur… sind Sie sicher, daß Ihre Heilungsmethode bei meinen alten Knochen wirklich funktioniert?«
»Es ist Foolys Metho -«
»Sanitäter!« schrie Raffael auf. »Laßt mich nicht im Stich! Dieser verflixte Drache wird mich endgültig umbringen!«
»Immer mit der Ruhe«, bat Zamorra. »Ich vertraue ihm. Er ist nicht immer so verrückt, wie er tut. Manchmal glaube ich, daß er seine Tolpatschigkeit nur vortäuscht. Der Kleine hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Er hat gar keine Ohren. Nur Gehörlöcher, und ich fürchte, daß die ziemlich verstopft sind«, ächzte
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