058 - Der Duft von Sandelholz
nicht von großem Nutzen war.
Nach der Ruhelosigkeit, die ihn nach dem Zwist mit Lily erfasst hatte, war jede müßige Stunde schwer zu ertragen. Er begann, das Zaumzeug für die Pferde zu reinigen und sein Gepäck zum wiederholten Mal für die Heimreise umzupacken.
Noch immer gab es keine Nachricht, keinen Brief von Colonel Montrose. Derek sorgte sich um seine Männer, fragte sich, wohin es sie verschlagen hatte, wie sie unter dem neuen Major zurechtkamen, ob sie bereits in den Kampf ziehen mussten und ob es bereits Zwischenfälle zu verzeichnen gab.
Lundy wusste nichts Neues über die Bemühungen Lord Sinclairs zu berichten, den Betrüger innerhalb des Ausschusses zu finden. Derek hatte Lundy nichts davon gesagt, dass er Charles hinzugezogen hatte, natürlich nicht. Er führte die letzten Spionagetätigkeiten aus und tat, was nötig war, um Charles zu helfen. Damit jedenfalls verbrachte er seine Tage. Mit den Nächten sah es etwas anders aus.
Die Nächte waren schwierig.
Er lag wach und dachte beständig nur an Lily, und selbst wenn er schlief, erschien sie in seinen Träumen. In den stetig wiederkehrenden Träumen, in denen er auf einem Schlachtfeld war, konnte er hören, wie sie über den Kanonendonner und den schwarzen Qualm hinweg nach ihm rief. In seinen Träumen versuchten sie verzweifelt einander zu finden, damit sie beide diesem höllischen Ort entfliehen und überleben konnten.
Tatsächlich hatten seine Albträume über vergangene Gefechte ihn dazu gebracht, seine Meinung über seine Einladung an Lily, ihn nach Indien zu begleiten, zu ändern.
Zum Glück hatte sie Nein gesagt. Denn wenn er nüchtern darüber nachdachte, wie es wäre, wenn sie dort wäre, dann wusste er, dass er sie nicht in der Nähe seines Daseins in der Armee haben wollte.
Der Tod lauerte überall. Wenn sie ums Leben käme, würde er sich das niemals verzeihen. Und dann war da die beständige Bedrohung, in Gefangenschaft zu geraten, was für eine Frau noch bei Weitem schlimmer war als für einen Mann. Ein goldhaariges englisches Mädchen würde als äußerst exotische Bereicherung jedes Harems angesehen werden. Allein durch ihre Schönheit wäre sie begehrtes Ziel -
und das würde die Gefahr für seine ganze Schwadron nur noch verstärken.
Er konnte Lily beschützen, er konnte auch einen Krieg führen. Aber er war nicht sicher, ob ein Mann beides tun konnte, jeden Tag, rund um die Uhr. Heute schätzte er sich schon glücklich, nur neben ihr zu stehen, in Hörweite ihrer sanften, melodischen Stimme, und er fragte sich, ob sie wohl wusste, dass er sie fasziniert beobachtete.
Vorhin, als er ankam, hatte er versucht, ihr Verhalten zu deuten. Aber alles, was er erkennen konnte, war, dass sie nicht glücklich war, ihn wieder mit Fanny zu sehen.
Na schön. Soll sie doch ein bisschen von ihrer eigenen Medizin kosten.
Sie schien entschlossen zu sein, ihn genauso zu behandeln wie alle anderen, aber insgeheim amüsierte sich Derek, zu verfolgen, wie Lily mit jeder neuen Herausforderung umging, die ihr in die Quere kam.
Als Mrs. Lundy wieder von ihrer bevorstehenden Reise nach Jamaika zu sprechen begann, bemerkte Derek bei Lily einen kurzen Anflug von Verzweiflung, als sie glaubte, es würde sie niemand wahrnehmen. Es war kaum zu bemerken, nur ein kleiner Blick gen Himmel, als schickte sie ein Stoßgebet hinauf, damit sie nicht losschrie, wenn sie das alles noch einmal anhören musste.
Er lächelte verstohlen. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war sie maskiert gewesen. Inzwischen las er in ihr wie in einem offenen Buch, eines, von dem er wusste, dass es ihm nie langweilig werden würde. Er schaute sie erneut an.
Sie hielt den Blick auf den Rasen gerichtet, und jetzt bemerkte er, wie ihre zarten Züge sich verhärteten. Sie schien sich auf einen Angriff gefasst zu machen, und Derek erkannte auch rasch den Grund dafür. Bess Kingsley kam auf sie zu, und ihre Röcke und Unterröcke flogen bei jedem ihrer weit ausholenden Schritte.
Das könnte interessant werden, dachte Derek.
Oh, nicht die schon wieder!
Überzeugt davon, dass innerhalb weniger Momente diese Rachegöttin einen neuen Weg finden würde, sie vor allen anderen zu blamieren, blieb Lily kaum genügend Zeit, um sich zu wappnen. Bess würde sich wie üblich in den Mittelpunkt der Party stürzen, Mrs. Lundy mit Beschlag belegen und laut zu erzählen beginnen. Und tatsächlich: Sofort tat sie ihre Meinung kund, kritisierte das Essen, die Getränke, das Zelt, die Musiker,
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