058 - Der Duft von Sandelholz
als würde es irgendjemanden interessieren, was ihr nicht gefiel.
Gabriel sah das Mädchen überrascht an.
Ich glaube, ich bekomme Kopfschmerzen, dachte Lily. Aber dann bemerkte sie die Andeutung eines mitfühlenden Lächelns von Derek. Diese leichte Bewegung seiner Lippen beschwichtigte ihr Gemüt so sehr, dass die Sonne wieder herauskam und ihr überfließendes Herz Miss Kingsleys Wortschwall ignorierte. Alles, was sie hörte, war der Gesang einer kleinen Amsel hoch oben in den Zweigen der großen Eiche über ihr.
Dann hob der Vogel seine Schwanzfedern und ließ etwas genau in Lilys Glas mit dem Champagnerpunsch fallen.
Mrs. Clearwell stockte der Atem.
Der Vogel flog davon, ohne sich weiter darum zu kümmern. Lily seufzte nur, eigentlich wenig überrascht, während Edward und Bess vor Lachen brüllten.
„Oh Eddie, sehen Sie nur, der Fluch der Balfours hat wieder zugeschlagen."
„Wie gut dieses Tier zielen konnte", meinte Lily trocken, als sie den Kelch dem nächsten Diener reichte.
„Es heißt, das bringt Glück", meinte Mrs. Clearwell und sah ihr Patenkind mitfühlend an.
„Das habe ich auch schon gehört", sprang Derek bei, während Mrs. Coates das Gesicht verzog. Lady Amherst murmelte auch nur: „Wie grässlich."
Die Männer waren da härter im Nehmen. Derek und Gabriel unterdrückten ein Lächeln, während sie gleichzeitig vortraten und ihre Taschentücher anboten.
„Schon gut, Major", meinte Lily. „Der Kleine hat mich nicht getroffen."
„Aber beinahe", platzte Bess heraus, die vor Vergnügen über das Missgeschick ein ganz rotes Gesicht hatte. Sie stieß Edward mit dem Ellenbogen an. „Ich sagte Ihnen schon, halten Sie sich besser von ihr fern, sonst wird Ihnen noch etwas Schreckliches zustoßen. Sie bringt Unglück. Arme Miss Balfour. Es muss eine solche Last sein, verflucht zu sein."
Ganz plötzlich war Lily mit ihrer Geduld am Ende und schenkte Bess ein breites Lächeln. „Eigentlich, Miss Kingsley, gibt es in allen guten Familien einen Fluch.
Vielleicht kann Ihr Vater einen kaufen, wenn er den Titel abbezahlt hat."
„Holla", sagte Derek.
Bess machte große Augen. „Wie unhöflich!"
Mrs. Coates und Lady Amherst kicherten, wie nur wahre Damen der Gesellschaft es vermochten, doch Mrs. Lundy sah aus, als fiele sie gleich in Ohnmacht. „Aber - aber, meine lieben jungen Damen, Sie können doch nicht ..."
Mit bebenden Lippen drehte Bess sich zu Edward um. „Haben Sie gehört, was sie zu mir gesagt hat?"
„Das war ziemlich unhöflich, Lily", sagte er leise.
Entsetzt sah Lily ihn an.
„Nein, nein", mischte Derek sich ein, der belustigt zugehört hatte. „Unsere Miss Balfour hat eben erst gelernt, sich zu wehren. Und es wird höchste Zeit", fügte er leise hinzu.
„Oh, das konnte ich schon immer, Major." Lily sah erst ihn an, dann Bess. „Ich habe eine umfassende Erziehung genossen."
„Bisher haben Sie es nicht einmal gewagt, buh zu mir zu sagen."
„Wissen Sie, Miss Kingsley, das nennt man gute Manieren."
„So! Was sind Sie doch für eine feine Dame! Kommen Sie, Eddie. Mein Vater will mit Ihnen reden." Bess packte Edward an den Rockaufschlägen.
„Edward", stieß Lily hervor und sah ihm in die Augen. Wagen Sie es nicht!
„Ich bin gleich wieder da", murmelte er. „Mr. Kingsley und ich handeln ein Geschäft aus."
Bess warf Lily einen schadenfrohen Blick zu und zog Edward mit sich, als sie davoneilte.
„So etwas", murmelte Gabriel.
„Au revoir, Miss Kingsley!" Mrs. Coates winkte ihr mit einer eleganten Bewegung nach.
Lady Amherst stimmte ein. „Besuchen Sie uns bald wieder!"
„O je, ich bin sicher, nun, das ..." Mrs. Lundy plapperte noch einen Moment lang unzusammenhängende Dinge, dann eilte sie den anderen nach.
„Liebling, deine Mutter wäre so stolz auf dich", murmelte Mrs. Clearwell augenzwinkernd.
Lily warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
Ihr Triumph über Bess hielt nicht lange an, denn sie war es, die zurückgelassen worden war. Sie war nun ohne Verehrer - und in Gegenwart von Derek und seiner schönen Geliebten. Es war außerordentlich unangenehm, eine überzählige Frau zu sein, und es war zu ärgerlich, dass diese verwöhnte Bess immer das zu bekommen schien, was sie haben wollte.
„Reizendes Mädchen", sagte Mrs. Coates in ihrer unnachahmlich hochmütigen Art und Weise und brach damit die Stille.
„Verzeihen Sie", entschuldigte sich Lily. „Wir mögen uns nicht sehr."
„Ich kann mir gar keinen Grund dafür vorstellen", meinte Lady
Weitere Kostenlose Bücher