0582 - Das Monstrum
Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«
»Nein, das nicht. Ich mußte nur gerade daran denken, wie wir Warren gestellt haben. Es ist damals sehr hart zur Sache gegangen. Und dieser Zeuge hat niemand gesehen, der den Grabstein irgendwie angehoben hat, um ihn zu transportieren?«
»Nein, er hat sich aus eigener Kraft vom Grab erhoben. Der Zeuge, er heißt Dick Campbell, ging zur Polizei und verlangte, daß ein Protokoll aufgenommen wurde. Man hat mir eine Kopie davon geschickt, weil ich damals betroffen war.«
»Ich habe keine bekommen.«
»Man hat an Sie nicht mehr gedacht. Ich wollte Sie nur informieren, Suko, weil mir die Sache nicht geheuer ist. Ich weiß, daß Sie sich mit übersinnlichen Dingen beschäftigen, möchte allerdings nicht die Pferde scheu machen. Ich könnte mir vorstellen, daß dort etwas geschehen ist, was man einfach nicht erklären kann, falls alles so stimmt, wie es der Zeuge gesagt hat.«
»Da haben Sie schon recht.«
»Wollen Sie sich um die Sache kümmern, Suko?«
»Das könnte ich. Zunächst muß ich leider zur Werkstatt fahren. Anschließend sehen wir weiter. Was ist mit Ihnen, Melody? Haben Sie auch vor, Nachforschungen…?«
»Noch nicht, denn ich habe eine andere Sache am Hals. Ich könnte aber wieder anrufen. Ist es gegen Abend recht?«
»Das wäre nicht schlecht.«
»Gut, dann wünsche ich Ihnen noch einen erfolgreichen Tag, Suko.« Melody räusperte sich. »Und wir wollen beide hoffen, daß die Akte Dale Warren abgeschlossen ist.«
»Das wird sie schon.«
»Bis später dann.«
Als Suko auflegte, hatte sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. Auf einmal kam es ihm vor, als wären die drei Jahre nur drei Tage gewesen. Wieder sah er die Szene vor sich, er erlebte die bedrückende Atmosphäre des Films noch einmal, und seine Gedanken stockten plötzlich. Etwas war ihm eingefallen. In seinem Gehirn hatte es geklickt. Suko überlegte, was es sein konnte, kam aber nicht darauf. Jedenfalls mußte das, über das er gestolpert war, noch nicht sehr lange zurückliegen, sonst hätte er sich nicht daran erinnert.
Sein Blick glitt über den Frühstückstisch, auf dem noch die Zeitung lag. Da wußte er Bescheid. Beim Überfliegen der Blätter hatte er auch die Anzeigen gelesen. Die Kinos wechselten an diesem Tag die Programme.
Suko bewegte sich plötzlich hastig. Wie Schuppen war es ihm von den Augen gefallen. Er schlug die Zeitung auf und blätterte so weit, bis er die Programmteile vor sich liegen hatte.
Bekannte Streifen liefen. Aufgeführt in großen Anzeigen, las er »Rain Man«
»High Spirits« oder »Mississippi Burning«. Diese Filme besetzten, eben wie »Twins«, die großen Kinos.
Er suchte die kleinen ab.
Da sah er es.
In einem der winzigen Schachtelkinos lief der Kultstreifen.
»BLOODY TIMES«
»Blutige Zeiten«.
Suko zitterte nicht, aber sein Adrenalinspiegel stieg unmerklich. Er bekam eine leichte Gänsehaut im Nacken, dachte an den Film und an den Grabstein.
Sollte sich der Horror wiederholen? All das verdammte Grauen, das vor drei Jahren durch ihn sein Ende gefunden hatte? Die Gänsehaut begann zu wandern. Suko brauchte da nur an den Killer zu denken, der so ungemein grausam gewesen war.
Er holte eine Schere und schnitt die entsprechende Anzeige aus der Zeitung.
Dann rief er seinen Freund John Sinclair an, bekam aber nur Glenda an die Strippe.
»John ist nicht da.«
»Wohin ist er denn gefahren?«
»Zu einem Friedhof, wie ich hörte.«
»Nach Whitechapel?«
»Ja.« Die dunkelhaarige Glenda jubelte die Antwort fast. »Das stimmt tatsächlich. Kannst du hellsehen?«
»Fast.«
»Soll ich ihm etwas bestellen, wenn er zurückkehrt?«
»Nein, Glenda, laß mal. Ich muß zum Ölwechsel fahren. Danach melde ich mich.«
»Kommst du dann ins Büro?«
»Das versteht sich.« Er legte auf. Sein Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen.
Blutige Zeiten, dachte er. Hoffentlich kehren sie nicht wieder zurück. Das wäre fatal…
***
Regen, trübes Wetter, Wolken, die wie Blei aussahen und am tiefen Himmel hingen.
Das war London an diesem Vormittag. Ich lauschte dem Schmatzen der Reifen, wenn sie über den Asphalt rollten und durch Pfützen glitten, so daß Wasser in die Höhe spritzte.
London war mal wieder dicht. Bei diesem Wetter kam mir der Verkehr noch stärker vor. Ich fuhr an der Nordseite der Themse entlang, um ins Eastend zu gelangen, den Teil der Stadt, mit dem kein touristischer Staat zu machen war, der aber einfach
Weitere Kostenlose Bücher