0582 - Das Monstrum
das der Mörder oder nur ein Gast, der sich ebenfalls den Streifen anschauen wollte?
Noch umklammerte ihre Hand die Waffe in der Tasche. Solange sie nicht Bescheid wußte, mußte sie die Pistole steckenlassen, aber der Schreck war ihr in die Glieder gefahren.
Es hatte keine Beschreibung des Kino-Killers gegeben. Manche Zeitungen hatten ihn auch als Monstrum bezeichnet. Diejenigen, die ihn gesehen hatten, konnten nicht mehr reden. Sie waren auf der Stelle tot gewesen.
Melody Ingram riß sich zusammen. Nur keine Panik, hämmerte sie sich ein. Zeig ihm nicht, daß du dich fürchtest. Bleib ganz ruhig, bitte. Reg dich nicht auf!
Der Fremde hockte nicht direkt neben ihr. Ein Stuhl war zwischen ihnen frei geblieben. In der dichten Atmosphäre des Kinos wirkte er wie eine menschliche Klammer, aus der sie sich nicht lösen konnte.
Sein graues Gesicht war mehr ein steinernes Bild, und die dunkle Kleidung paßte ebenfalls zu ihm.
Melody fiel auf, daß die Klamotten rochen. Ein feuchter, muffiger Gestank, vermischt mit dem von altem Bratfett, ging von ihm aus.
Wenn der Mann atmete, hörte es sich leicht röchelnd an. Er hielt den Mund geöffnet, sein Profil erkannte Melody nur schattenhaft, es besaß etwas Affenartiges, wie sie meinte.
Die Hände hatte er auf die Oberschenkel gelegt. Wie steinerne Pranken schauten sie aus den Jackettärmeln hervor. Der Kerl besaß dunkles Haar, das flach auf seinem Schädel lag.
Normal war der nicht…
Die Zeit der inneren Spannung klang etwas ab. Melody räusperte sich und nahm sogar ihre rechte Hand aus der Tasche. Sie hatte sich deshalb so furchtbar erschreckt, weil dieser neue Gast zugleich mit der schrecklichen Szene auf der Leinwand erschienen war.
Sie schaute nach vorn.
Wie abgemalt kamen ihr die Köpfe der anderen Kinobesucher vor.
Inzwischen war auch das zweite Mädchen gestorben, der Killer ging und nahm seine Maske dabei ab. Die Kamera zeigte nur seinen Rücken. Zum Schluß des Films würde er erst entlarvt werden.
Allein der Titel reichte aus, um eine Gänsehaut zu bekommen.
BLUTIGE ZEITEN – so hieß der Streifen. Man hätte dafür keinen passenderen Titel finden können.
Melody räusperte sich. Vor ihr raschelte Papier, als jemand Popcorn aus der Tüte holte. Sie empfand es nicht einmal als störend, und auf der Leinwand verklangen die letzten Schritte des Mörders, als er über Steinstufen schritt.
Bis zum nächsten Mord würde es ungefähr fünfzehn Minuten dauern, dann mußte sich der Film allmählich dem Finale nähern, er lief nur noch eine knappe halbe Stunde.
Die junge Frau wischte über ihr Gesicht. Nicht nur der Film hatte sie ins Schwitzen gebracht, es lag auch an der stickigen Atmosphäre dieses alten Vorstadtkinos, das eine Renovierung dringend nötig gehabt hätte. Melody hatte durch den Popcorn-Esser Appetit bekommen. Ihr fiel ein, daß sie in der Tasche noch eine angebrochene Tüte Weingummis hatte.
Sie wühlte herum. Aus den Augenwinkeln stellte sie fest, daß ihr neuer Nachbar sie dabei beobachtete. Wenn sie jetzt den Platz gewechselt hätte, wäre sie sich komisch vorgekommen.
Die Handfläche berührte auch das Metall der Waffe. Seltsamerweise gab ihr dies kein beruhigendes Gefühl. Eigentlich haßte sie Schußwaffen, doch ihre Vorgesetzten hatten darauf bestanden, daß sie sich bei diesem Einsatz bewaffnete.
Es war ihr zweiter und ein verdammt gefährlicher, wie ihr von allen Seiten klargemacht worden war.
Melody holte die flache Tüte hervor. Sie stellte sie vor die Tasche und schob zwei Finger in die Öffnung, um das erste der Weingummis hervorzuholen.
»Ich auch?«
Die junge Frau schrak zusammen, als sie die Frage hörte. Es war mehr ein Röcheln, das ihr Nachbar ausgestoßen hatte. Innerhalb von Sekunden mußte sie eine Entscheidung getroffen haben. Wie sollte sie sich verhalten? Daß sie von dem Kerl angesprochen werden würde, damit hatte sie nie im Leben gerechnet.
»He, ich auch!« Er beugte sich vor und schaute nach links, sie nach rechts.
Und sie sah das Messer!
Es war eine dieser langen, widerlichen Klingen, dreimal so lang wie der Griff.
Blitzartig erinnerte sich Melody. Die Morde waren durch lange Messer verübt worden. Kein Opfer war je dazu gekommen, noch einen Schrei auszustoßen. Es gab keinen Zweifel. Neben ihr hockte der Kino-Killer. Und sie hatte ihre Hand aus der Tasche genommen, anstatt dort weiterhin den Griff der Waffe zu umklammern.
Melody bekam es mit der Angst zu tun. Sie wollte es nicht, aber sie fing an
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