0582 - Der Totenbaum
etwas mit diesen Dämonenbäumen zu tun hat? Und mit diesem Fluch des Asmodis?«
Zamorra nickte.
Er löste das Amulett von der Silberkette und aktivierte es für die Zeitschau. Er versetzte sich in die dafür nötige Halbtrance und versuchte, in der Zeit zurückzugehen. Bis zu jenem Zeitpunkt, an dem die beiden Menschen gestorben waren.
Die handtellergroße Silberscheibe funktionierte dabei wie eine Art Miniatur-Fernsehschirm, der einen rückwärts ablaufenden Film zeigte.
Allerdings hegte Zamorra keine sonderlich großen Hoffnungen, daß er mit seiner Zeitschau Erfolg hatte. Denn er hatte keinerlei Restausstrahlungen von schwarzer Magie feststellen können.
Trotzdem - man sollte nichts unversucht lassen.
Nicole betrachtete derweil den stellenweise aufgewühlten Boden. Die Spuren kamen ihr recht seltsam vor.
»Pierre, wenn du dir einen Baum vorstellst, der auf seinen Wurzeln läuft… der seine Wurzeln aus dem Boden zieht und anfängt, herumzuwandern… meinst du, das könnte dann so aussehen wie das hier?«
Robin hatte sich auf die Motorhaube des Citroën gesetzt und stopfte seine Pfeife, um sie dann in Brand zu setzen.
»Ich kann mir beim besten Willen keinen Baum vorstellen, der auf Wanderschaft geht«, gestand er.
»Aber einen verdorrten Baumstamm, der auf der Rhône stromaufwärts treibt, den kannst du dir vorstellen.«
»Den habe ich gesehen. Aber Bäume, die auf ihren Wurzeln durch die Gegend wandern, noch nie in meinem Leben. Nur davon gelesen habe ich. Aber in dem Roman waren diese Bäume keine Killer, sondern vernunftbegabte Wesen.«
»Du meinst die ›Ents‹ aus dem ›Herrn der Ringe‹ von Tolkien?«
»Richtig«, sagte Robin. »Der gute John Tolkien hat eine Menge verrückter Dinge erfunden. Aber ebensowenig, wie es die verfressenen Hobbits gibt, gibt es wandernde Bäume…«
»Dein Wort in Robert Lamonts Ohr«, murmelte Nicole. »Immerhin haben wir König Laurin und seine Zwerge leibhaftig kennengelernt, und was die bei einem Festmahl auf die Tische bringen, läßt die Hobbits garantiert vor Neid erblassen.«
»Man soll im Reich der Zwerge nichts essen und nichts trinken, oder man wird verzaubert«, erinnerte Robin. »Ich versteh's nicht, Nicole. Ihr habt doch den Dämon befriedet und Asmodis' Fluch gebrochen. Ich versuche gerade, die Strömungsgeschwindigkeit durchzurechnen. ›Mein‹ Baumstamm könnte bis hierher getrieben sein, das kann von der Zeit her funktionieren. Er wäre sicher sogar viel weiter gekommen. Aber wenn er hier angelangt wäre - von der Rhône bis zur Friedhofsmauer ist es doch noch ein netter kleiner Spaziergang, und die treibenden Bäume waren doch solange tot, bis sie menschliches Leben in ihrer Nähe spürten, oder habe ich das alles falsch verstanden?«
»Manchmal funktioniert nicht alles so, wie wir uns das vorstellen. Der Dämon erschlug seinerzeit eine der Töchter des Asmodis. Der erschlug und verfluchte wiederum den Dämon. Und der Dämon sprach wiederum einen Fluch aus… Und dieser gewaltige Knoten ließ sich nur lösen mit Hilfe von Zamorras Amulett. Vielleicht war das aber noch nicht alles. Man muß immer damit rechnen, daß irgend etwas zurückbleibt. Vor allem, wenn Wesen wie Asmodis oder Merlin im Spiel sind.«
»Klingt nicht gerade ermutigend«, murmelte Robin.
Er sog an seiner Pfeife und erhob sich wieder.
Er versuchte, in den aufgewühlten Erdspuren eine bestimmte Bewegungsrichtung zu erkennen, konnte es allerdings nicht.
Unterdessen stieß Zamorra langsam in die Vergangenheit vor. Es kostete ihn eine Menge Kraft, obgleich der Vorfall nur wenig mehr als zwölf bis vierzehn Stunden zurückliegen mußte.
Endlich hatte er die fragliche Zeitspanne ›erreicht‹, die in Dr. Mathieus Obduktionsbefund benannt wurde, aber das Amulette zeigte ihm nur schattenhafte Bewegung.
Er konnte sie nicht exakt erfassen.
Schatten, die sich bewegten…
Schatten, die Menschen sein konnten, aber auch nicht…
Und ein Baum?
Es gab nichts, das sich klar genug erkennen ließ. Was sich da bewegte, konnte alles Mögliche sein. Mensch, Tier, Baum…
Ganz gleich, wie Zamorra es anfaßte, er bekam einfach kein klares Bild. Er scheiterte. Das, was sich hier abgespielt hatte, entzog sich seinem Zugriff.
In dieser Form hatte das Amulett noch nie versagt. Entweder zeigte es gar keine Bilder, oder es zeigte Zamorra genau das, was er auch sehen wollte.
Aber so ein diffuses, verwaschenes Durcheinander war während der Zeitschau noch nie aufgetreten.
Er löste sich aus
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