059 - Blutige Küsse
werden sehen, alter Junge«, sagte Demur und sah Dorian wieder prüfend an. »Wir werden ja sehen.«
»Das ist der alte Fuchsbau«, sagte Demur und deutete auf das Schloss des Grafen hinunter.
Er und Dorian hatten nicht gewartet, bis die kleine Feldkirche restlos zerstört worden war. Großzügigerweise zeigte Demur ihm das düster wirkende Schloss auf der kleinen Insel im Loch Sinclair.
»Warum gehen wir nicht sofort zu ihm?« Dorians Verlangen wurde übermächtig.
»Lucius hat nur ganz bestimmte Empfangszeiten. An die muss man sich genau halten.«
»Dich wird er doch hereinlassen, oder?«
»Schön, versuchen wir's.«
Demur war überraschend schnell einverstanden und stieg wieder auf seine Maschine. Dorian klammerte sich an ihm fest. Wie von einer Rakete getrieben, schoss das schwere Motorrad zur Brücke hinunter. Hier hielt Demur an und stieg ab.
»Versuch dein Glück!«, meinte er und grinste wissend. »Aber beklag dich nicht!«
Dorian dachte nur an Theriak. Mit weit ausholenden Schritten ging er zur Brücke – und prallte mit Wucht gegen eine unsichtbare Wand. Er flog zurück, rieb sich die schmerzende Stirn und schaute sich verwirrt nach Demur um, der lauthals lachte.
»Wie ich dir gesagt habe«, krächzte dieser, auf Dorian zukommend. »Blödes Gefühl für dich, könnte ich mir vorstellen. Da drüben in dem alten Gemäuer gibt's Theriak, aber man kommt einfach nicht ran.«
»Versuch du es, Demur! Du musst es versuchen! Ich brauche es!«
Dorian hatte plötzlich wieder die grauenhaften Kopfschmerzen.
»Sinnlos«, behauptete Demur und rührte sich nicht von der Stelle. »Ich kenne doch meine Familie. Wenn die nicht will, ist nichts zu machen. Du musst warten.«
»Aber er wird mich doch hereinlassen, oder?« Dorian sah Demur beschwörend an.
»Wahrscheinlich, alter Junge. Mach dir deswegen nur keine Gedanken! Ich sagte doch schon, dass ich dich angemeldet habe.«
Dorian trug einen saloppen Anzug, den er schon in der Jugendstilvilla angehabt hatte. Von der kleinen Flasche mit dem Taxin-Theriak wusste er nichts; er hatte die kleine Phiole völlig vergessen.
»Was soll ich dem Count mitbringen?«, erkundigte Dorian sich.
»Das werden wir wohl gleich erfahren, alter Junge. Sieh doch, wir bekommen Besuch!«
»Ist er das, Demur?« Dorian hatte den großen, schlanken Mann entdeckt, der durch die schmale Pforte kam.
»Der? Dieser widerliche Schleimer?« Demur schüttelte angeekelt den Kopf. »Das ist Valby, der Sekretär meines Onkels.«
Der Sekretär kam langsam über die Brücke, dann ein Stück über die Rampe und blieb einige Schritte vor Demur und Dorian stehen. Er bemühte sich um Feierlichkeit, gab sich abweisend und wissend, ließ den Blick nur flüchtig über Dorian gleiten, schien an ihm überhaupt nicht interessiert zu sein.
»Mach's nicht so spannend, Valby!«, sagte Demur burschikos. »Mir brauchst du doch nicht vorzuspielen, wie wichtig du angeblich bist. Die Masche zieht bei mir nicht.«
»Der Count of Alkahest wünscht sich für den Abend eine ganz bestimmte Tischpartnerin«, sagte Valby, sich jetzt betont an Dorian wendend.
»Und wie soll ich die beschaffen?«, gab Dorian irritiert und enttäuscht zurück.
»Das dürfte der gute Valby bereits ausbaldowert haben«, warf Demur respektlos ein. »Ist doch seine Spezialität. Stets seinem Herrn zu Diensten, nicht wahr, Valby? Eines Tages muss die Kriecherei sich doch auszahlen, wie?«
Valby überhörte die Anspielungen Demurs, er ließ sich nicht provozieren.
»Ich kann mir schon denken, worauf du scharf bist«, stichelte Demur weiter.
»Wo finde ich die Tischdame?«, fragte Dorian erneut. Ihm kam es darauf an, den Wunsch des Grafen so schnell wie möglich zu erfüllen. Er brauchte Theriak und war fest entschlossen, den Bedingungen des Count of Alkahest nachzukommen.
»Sie werden die Dame auf einem kleinen Campingplatz finden«, erklärte ihm der Sekretär, ohne sich durch Demur aus der Ruhe bringen zu lassen. »Sie heißt Judy Leaders und wohnt dort mit ihren Eltern.«
»Verstanden.« Dorian nickte eifrig.
»Der Count of Alkahest erwartet Sie heute nach Einbruch der Dunkelheit.«
Der Sekretär drehte sich um und marschierte über die gewölbte Brücke zum Schloss zurück. Dorian wartete, bis der große, schlanke Mann hinter der Pforte verschwunden war und wandte sich dann zu Demur um.
Das Gesicht seines Begleiters hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. Als er sich von Dorian beobachtet fühlte, verzog er es zu einem
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