059 - Der Preller
Suche nach einer ruhig gelegenen Bank, wo sie sich ganz ihrem Schmerz hingeben könnte. Anthony behielt sie im Auge, bis sie sich endlich auf einer einsamen Bank niederließ. Ohne ein Wort der Entschuldigung nahm er neben ihr Platz, öffnete ein Buch und war allem Anschein nach bald darauf in dessen Lektüre versunken. Seine ganze Aufmerksamkeit galt aber dessen ungeachtet dem Mädchen neben ihm. Sie schien von seiner Gesellschaft wenig entzückt zu sein, denn als er neben ihr Platz nahm, wollte sie augenscheinlich einen anderen Ruheplatz aufsuchen, überlegte es sich dann aber und blieb sitzen.
»Verzeihen Sie«, eröffnete er ruhig das Gespräch. »Vor allen Dingen möchte ich bei Ihnen nicht den Eindruck erwecken, als suchte ich Abenteuer.«
Überrascht starrte ihn die junge Dame an. Er fuhr fort:
»Ich weiß, daß man eine junge Dame nicht auf offener Straße ansprechen soll, aber Sie brauchen vor mir wirklich keine Angst zu haben. Ich habe nicht die geringste Absicht, Ihnen irgendwie lästig zu fallen. Übrigens, der Herr, der dort drüben auf jener Bank so vertieft in seine Zeitung ist, ist ein höherer Beamter Scotland Yards, während der Parkwächter ja, wie Sie sehen, uns ebenfalls im Auge hat. Wenn ich also irgendwie lästig werden sollte, hätten Sie ausreichende Hilfe ganz in Ihrer Nähe.«
Wider Willen mußte sie lächeln.
»Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, mein Herr«, gab sie zurück, »will Ihnen aber nicht verhehlen, daß ich nicht die geringste Lust verspüre, mich mit irgend jemand und am wenigstens mit einem völlig Unbekannten in ein Gespräch einzulassen.«
Er nickte zustimmend.
»Das ist mir klar genug, aber ich habe den Eindruck gewonnen, als sei Ihnen ein Helfer dringend vonnöten. Sie haben eine Auseinandersetzung mit Digle gehabt, nicht wahr?«
Überrascht starrte sie ihn an.
»Woher wissen Sie das?« fragte sie.
»Ich erriet es. Er versuchte wohl, Ihnen die Daumenschrauben anzusetzen, wie?«
Sie runzelte die Stirn.
»Sie waren wohl dort? Kennen Sie ihn? Hat er Sie mir nachgesandt?«
»Nein. Ich kenne Mr. Digle nicht persönlich, habe aber allerlei von seinen liebenswürdigen Manieren erfahren. Aus Ihrer Verstörung glaubte ich schließen zu können, daß Sie zu den Unglücklichen gehören, die diesem Shylock in die Klauen geraten sind. Der einzige Zweck, weshalb ich Sie ansprach, war, mich zu erkundigen, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein könnte.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein«, gab sie einsilbig zurück. »Nein, ich befürchte, daß auch Sie mir nicht helfen können. Ich habe mich wie eine Idiotin benommen.«
»Diesen Fehler haben wir alle das eine oder andere Mal begangen«, tröstete er sie. »Bitte, erweisen Sie mir den Gefallen und beichten Sie mir, was Ihnen passiert ist.«
Lange schwieg sei. Endlich war sie mit sich im klaren.
»Ich kann es Ihnen ebenso gut erzählen, denn ich habe nichts verbrochen, was ich zu verbergen hätte. In wenigen Wochen wird ja die große Öffentlichkeit doch davon erfahren.«
Sie war die Witwe eines jungen Offiziers, der im Krieg gefallen war. Er hatte ihr ein kleines Landhaus hinterlassen und einige hundert Pfund Ersparnisse zurücklegen können, von denen sie nun lebte.
»Mein Edi war ein guter Junge, wenn auch ein wenig leichtsinnig«, vervollständigte sie ihre Schilderung. »Natürlich hatte ich keine Ahnung, daß er Mr. Digle Geld schuldete. Allem Anschein nach hatte er sich jedoch von ihm, kurz bevor er fiel, einige tausend Pfund geborgt, wovon ich bis vor kurzem nichts wußte. Vor einigen Tagen besuchte mich ein Vertreter Digles, der mir den vollstreckbaren Schuldtitel vorlegte und Zahlung verlangte. Natürlich werde ich den Namen meines toten Gatten nicht in den Schmutz zerren lassen und deshalb bezahlen. Das bedeutet aber, daß ich mittellos dastehen werde.«
»Und wieviel schuldet Ihr Gatte angeblich dem Verleiher?«
»Die ursprüngliche Darlehenssumme war eintausend Pfund, wuchs jedoch durch Zinsen und Spesen auf zweitausend an. Oh, wie gemein, wie niederträchtig!«
Anthony notierte sich die Zahlen.
»Bitte, geben Sie mir nun Ihre Adresse«, bat er. »Dann möchte ich von Ihnen, wenn möglich, das Ausstellungsdatum der Schuldurkunde und den Grund wissen, warum Ihr Gatte das Geld geborgt hatte.«
Sie schüttelte wieder den Kopf.
»Ich kann Ihnen meine Adresse geben, aber die Einzelheiten der Schuld kenne ich selbst nicht. Sie sind mir ebenso ein Rätsel wie Ihnen. Zur Zeit, als Edi das Geld angeblich
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