059 - Der Preller
moderne Baukunst und die Fünf-Minuten-Bauten noch nicht zu denken war. Milwaukee Meg hatte dieses Haus als Wohnsitz erkoren, da es ihr alle Vorbedingungen, die sie an ihre Wohngelegenheit zu stellen gewöhnt war und stellen mußte, zu erfüllen schien.
Einige Tage nach der Unterredung zwischen Anthony und Paul spazierten Milwaukee Meg und ein junges Mädchen mit tiefen grauen Augen und feinen Gesichtszügen im Garten vor dem Haus auf und ab. Niemand, der Miss Morrison zum erstenmal sah, würde in ihr die Frau wiedererkannt haben, die vor kurzer Zeit, zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt, aus der Anklagebank von Old Bailey abgeführt worden war.
Die Dame aus Milwaukee redete, und zwar allem Anschein nach in recht ungeduldiger Stimmung.
»Meine liebe Miss Stillington«, sagte sie eben zu ihrer Begleiterin, »wie kann man so entsetzlich naiv sein? Ich weiß bestimmt, daß Mr. van Deahy nicht die geringsten beleidigenden Absichten hatte. Er ist einer meiner ältesten Freunde.«
Das junge Mädchen an ihrer Seite antwortete nicht, und Miss Morrison fuhr erregt fort:
»Ich weiß, daß Sie ihm außerordentlich sympathisch sind. Finden Sie das so schrecklich? Die meisten jungen Damen würden sich geschmeichelt fühlen, das Ziel so unverhohlener Bewunderung zu sein.«
»Auch ich habe es gern, wenn ich jemand sympathisch bin«, gab das Mädchen zurück. »Was ich aber nur ungern sehe, ist, wenn mich ein Mann, den ich vor kaum einer Woche kennenlernte, auf Schritt und Tritt mit seinen Liebeserklärungen verfolgt. Ich kann jedenfalls seine Gefühle nicht erwidern.«
Miss Morrison lachte.
»Sie müssen sich eben noch an die Welt und ihre Methoden gewöhnen, mein liebes Kind.« Meg legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Gesellschafterin. »Sie sind nicht mehr in Ihrem Dorf, sondern inmitten der großen Welt.« Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. »Wenigstens in einem kleinen Ausschnitt davon.« Sie fügte den Nachsatz hinzu, nachdem sie einen ironischen Blick auf ihre nähere Umgebung geworfen hatte.
Ein junger Mann kam auf die beiden Frauen zu, und als sie ihn am jenseitigen Ende des Gartens auftauchen sah, verabschiedete sie ihre Begleiterin mit einem Kopfnicken.
»Hör mal«, begrüßte sie den Neuankömmling, »du darfst bei diesem jungen Mädchen nicht zu sehr ins Zeug gehen. Poussiere, soviel du willst, aber erst, wenn unsere Sache erledigt ist. Gegenwärtig können wir es uns nicht gestatten, wegen einer Lappalie unseren ganzen Plan aufs Spiel zu setzen.«
Van Deahy nickte zustimmend.
»Ich bin auf Miss Stillington wie versessen«, erwiderte er sorglos. Miss Morrison lächelte sarkastisch.
»Du hast immer jemand, auf den du versessen bist«, meinte sie anzüglich. »Laß das Mädchen vorläufig in Frieden. Vielleicht kannst du dich ihr später nähern und mit ihr einig werden.«
»Wann wollen wir denn reisen?«
»Sobald ich mit dem Preller abgerechnet habe«, erwiderte das Mädchen hart. »Ich habe dir ja gesagt, daß ich mich an ihm rächen werde, und zwar so, daß er mich nicht so schnell vergessen dürfte.«
»Hast du seinen Spion heute morgen gesehen? Da draußen steht er.« Er wies über die Gartenmauer. »Er telegrafiert ständig nach London, und zwar an jemand, der noch nicht im Adreßbuch steht. Ich habe nachgesehen, um mich zu vergewissern, ob ich seinen Auftraggeber kenne.«
»Die Telegramme sind in Code abgefaßt, nicht wahr?« erkundigte sich Meg. Von Deahy nickte.
»Ich möchte nur wissen, was der Esel mit seiner Spioniererei bezweckt? Was will er denn damit erreichen?«
»Was er erwartet und bezweckt? Wahrscheinlich Brummschädel für sich und seine Mitarbeiter. Er glaubt wohl, wenn er uns dauernd im Nacken sitzt, den kommenden Angriff abwehren zu können. Wißt ihr schon, wo der Preller wohnt?«
»Nein.« Van Deahy schüttelte betrübt den Kopf. »Drei unserer besten Spürhunde arbeiten in London. Wir hoffen aber bald, durch das Postamt herauszubekommen, wo die Telegramme hinbestellt werden.« »Das würde uns auch nichts nützen, denn sicherlich arbeitet er unter einer Deckadresse.«
»Das glaube ich nicht. Nun, wir können ja abwarten und sehen, was daraus wird.«
»Während du in der Zwischenzeit Miss Stillington in Ruhe lassen wirst«, schloß Miss Morrison die Unterredung.
Van Deahy stimmte diesem Befehl schweren Herzens zu. Eine Woche verging, ohne daß sich etwas Neues ereignet hätte. Nach Ablauf der Frist stürmte van Deahy eines Tages aufgeregt zu seiner
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