059 - Der Preller
eine neue Autodecke gebrauchen«, schlug Paul vor.
Anthony lachte nur.
»Ist dir jemand auf der Promenade besonders aufgefallen?« erkundigte sich Paul.
»Groggenheimer mit einer Perle für vierhundert Pfund in der Krawatte. Dann der Kriegsgewinnler, der ekelhafte Stork, der einen Pelz trug, der deinem Ideal einer Decke wohl am nächsten käme. Ferner Mr. Kandeman ...«
»Kandeman? Wer ist denn der? Ich habe seinen Namen noch, nie gehört.«
»Dachte ich es doch, daß dir der Name unbekannt sein würde«, meinte Anthony lächelnd. »Paul, ich schäme mich für dich: Du bist zwanzig Jahre hinter dem Mond zurück. Du bist wie ein vorjähriger Kalender. Du ...«
»Wenn du fertig bist mit Schimpfen, kannst du mir langsam sagen, wer jener Kandeman ist«, unterbrach ihn sein Freund.
Anthony antwortete nicht sofort. Erst als abgeräumt worden war, nahm er das Gespräch wieder auf.
»Kandeman ist ein außerordentlich reicher und geschmeidiger Herr, Vorsitzender der Antispiel-, der Antiraucher-, der Antialkohol-Ligen. Ich weiß ja nicht, ob dies die Bezeichnungen der Vereine sind, denen er vorsteht, nenne sie aber so, um dir einen Begriff zu geben, wie hoch er über uns steht.«
»Wovon lebt er denn? Diese ›Anti‹-Geschäfte ernähren ihn doch bestimmt nicht«, meinte Paul.
»Er arbeitet überhaupt nicht, außer vielleicht hin und wieder beim Kuponabschneiden. Er ist Besitzer der größten Lebensmittel-Engros-Firma Großbritanniens. Mit anderen Worten, der Schieber, der an der Spitze der Zuckergesellschaft steht, um dem englischen Publikum dieses angenehme Nahrungsmittel soviel wie möglich zu verteuern. Er wohnt 903 Prince's Gardens, London, ist Junggeselle, ein langweiliger Kerl und verbohrt bis dahinaus. Jede Art von Zeitvertreib, die ein wenig Vergnügen mit sich bringen würde, ist ihm verhaßt. Ich werde heute mittag mit ihm lunchen.«
Paul zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe.
»Du willst wohl endlich eine neue Seite in deinem Lebensbuch aufschlagen?« fragte er. »Zeit wäre es, und vielleicht hast du auch Grund genug, dich endlich etwas zu bessern«, setzte er anzüglich hinzu.
»Jawohl, mein Sohn, ich bin im Begriff, mich zu bessern«, gab Anthony in aller Ruhe zurück.
Zu seinen Gewohnheiten gehörte es, allein und sorglos in allen möglichen Gegenden herumzuwandern. Versammlungen irgendwelcher Art übten stets eine große Anziehungskraft auf ihn aus. In allen solchen Veranstaltungen war, soweit sie öffentlich stattfanden, der Preller Stammgast. Gleichgültig, ob es sich um eine Säuglingspflege-Versammlung oder um eine Predigt irgendeines verstiegenen Anarchisten blutrünstigster Sorte handelte - der Preller war dabei. Am gestrigen Abend hatte eine Protestversammlung gegen die Freigabe des Sonntags für sportliche Veranstaltungen stattgefunden, und Anthony war einer der begeistertsten Zuhörer der flammenden Reden gewesen, die die Schutzgemeinschaft für Sonntagsruhe in Brighton vom Stapel gelassen hatte. Hier war es, wo er Mr. Kandeman kennengelernt hatte, einen hageren Herrn mit den hektisch geröteten Wangen eines Fanatikers, der noch den Backenbart der Vorväter trug. Anthony hatte es auf sich genommen, auch sein Teil zu den munteren Reden beizutragen, die vom Pult aus an die Versammlungsteilnehmer gerichtet wurden. Glänzender Redner, der er war, war es ihm leichtgefallen, die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu fesseln. Mr. Kandeman hatte dem neuen Apostel der Bewegung seine herzlichsten Glückwünsche ausgesprochen und ihn eingeladen, mit ihm am nächsten Tag beim Lunch zusammenzutreffen. Der Köder, der ihm von Anthony hingehalten worden war, hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Niemals mochte es einen engstirnigeren Menschen gegeben haben als diesen Mr. Kandeman.
»Nein, mein Junge«, beantwortete der Preller eine Frage Pauls. »Ich glaube nicht, daß wir etwas dabei verdienen werden, außer ich bringe es fertig, den alten Truthahn zum Wetten zu bewegen.«
»Zum Wetten?« fragte Paul erstaunt. »Du glaubst doch nicht etwa im Ernst, daß ein Mensch seines Charakters wetten wird?«
»Wer weiß?« war die orakelhafte Antwort des Prellers.
Anthony zog seinen unmodernsten Anzug an und ging zum Essen. Eine schwarze Krawatte deutete seine, zum mindesten seelische Trauer an. Mr. Kandeman erwartete ihn bereits im Foyer des größten und teuersten Hotels des Badeortes und rieb sich, als er die reuige Miene seines Gastes sah, vergnügt die Hände.
»Na, da sind Sie ja, Mr. Jackson«,
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