059 - Der Preller
bewillkommnete er ihn. »Es freut mich, Sie pünktlich begrüßen zu können. Die jungen Leute von heute haben ja überhaupt keinen Zeitbegriff mehr. Vorige Woche ließ mich eine junge - hm - hm - Person volle fünf Minuten warten.«
»So etwas ist mir ganz und gar unverständlich«, erwiderte ›Jackson‹. »Schon mein teurer, vom Herrn abberufener Onkel John hielt stets auf Pünktlichkeit. Mein Gott, ich wünschte, ich hätte ihm auch in anderer Beziehung besser gefolgt.« Er seufzte. Kandeman musterte ihn mit dem Interesse, als sähe er sich einer Spezies Insekten gegenüber.
»Reue kommt nie zu spät«, dozierte er. »Ich sagte es Ihnen ja schon gestern abend, Mr. Jackson.« Er führte seinen Gast in den Speisesaal. »Ich habe einen Tisch in einer ruhigen Ecke gewählt, damit Sie, falls Sie mir etwas mitzuteilen haben, was nicht jeder zu hören braucht, ungeniert sprechen können.«
Als sie Platz genommen hatten, schenkte Mr. Kandeman seinem Gast ein Glas Wasser ein.
»Ich hasse zwar Wein, aber mein Arzt hat mir zum Essen ein Gläschen Rheinwein verordnet«, sagte er. »Da muß man schon ein wenig gegen seinen eigenen Wunsch leben.«
Für einen Menschen, der Wein haßte, trank er allerhand. Die Flasche, die er sich bestellt hatte, war schon halb leer, als er endlich das Gespräch wieder aufnahm.
»Entsetzliches Zeug«, meinte er. »Wasser, mein Sohn, Wasser ist es, was uns gesund und jung erhält. Man wird stark davon, denn auch die Löwen trinken es!« Er lachte über seinen eigenen Witz, ohne zu ahnen, daß Anthony im stillen an Esel dachte, die ebenfalls Wasser tranken. Sie waren beim Dessert.
»Nun, Mr. Jackson«, sagte der Gastgeber. »Sie sprachen doch gestern abend davon, daß etwas Ihr Gewissen bedrücke, nicht wahr? Vielleicht kann ich, frommer Christ, der ich bin, Ihnen Ihre Last tragen helfen?«
Nachdenklich und anscheinend in sich versunken, spielte Anthony mit seiner Gabel. Er machte ein Gesicht wie eine Naive, die zum ersten Male vor das Publikum treten soll.
»Ja, es ist so, Sir«, erwiderte er endlich traurig. »Mich bedrückt etwas, und als ich Sie gestern so herrlich reden hörte, wurde meine Reue um so größer.«
»Bitte, fahren Sie fort«, bat Mr. Kandeman, der die Unterhaltung interessant zu finden begann.
»Wenn ich doch nur den Mahnungen meines teuren Onkels gefolgt wäre«, seufzte der Reuige. »Niemals wäre ich zum gewerbsmäßigen Spieler herabgesunken.«
»Ein gewerbsmäßiger Spieler?«
»Ja, leider, Sir«, gab Anthony zu. »Ich bin ein gewerbsmäßiger Spieler, ein Hochstapler, ein Dieb, der vertrauende Menschen bestiehlt, ein Rennbahnhai und Gott weiß, was noch alles!«
Er schwieg einen Augenblick, um dann mit leiser Stimme fortzufahren: »Noch vor einer Woche bildete ich mir viel auf meine Kunstfertigkeit ein, wollte noch ein reicher Mann damit werden, aber - was sind Schätze, die von Mäusen gefressen werden?«
»Ja«, pflichtete ihm Kandeman bei. »Was gewönne ich mit allen Schätzen der Welt, wenn ich meine Seele verlöre?«
»Ich wünschte mir, ›Greylegs‹ würde das Rennen verlieren, aber niemand hätte etwas davon, denn nur die Buchmacher würden die Verluste der anderen einstecken.«
»Greylegs? Was ist denn das?«
»Ein Rennpferd, sicherer Gewinner des Jesland Handicap. Ich zweifle an seinen Chancen nicht im geringsten und ebenso nicht daran, daß ich dadurch mindestens zwanzigtausend Pfund gewinnen werde. Das aber will gar nichts besagen, denn ob ich mein Geld durch Karten oder durch Pferde gewinne, bleibt sich alles gleich; das Publikum, das nicht soviel davon versteht wie ich, muß ja doch die Kosten für meine Gewinne aufbringen. Schrecklich!«
»Entsetzlich!« Der Ausruf mangelte der Überzeugung, denn Mr. Kandeman hatte noch nicht recht verstanden, warum sein Gast so zerknirscht war.
»Natürlich«, fuhr Anthony fort, und seine Miene klärte sich auf, »könnte ich ja meine Gewinne einem wohltätigen Zweck zuführen.«
»Jawohl, das wäre der beste Ausweg, denn es würde aus den Taschen von Spielern stammen, den Leuten zugute kommen, die es bitter nötig gebrauchen könnten. Aber, Mr. Jackson, woher wissen Sie so genau, daß - hm - Greylegs gewinnen wird? Wenn er das Rennen nicht macht, verlieren Sie ja Ihr Geld!«
»Das würde mich nicht so schwer treffen«, wehrte Anthony achselzuckend ab, »aber darüber mache ich mir nicht die geringste Sorge. Greylegs wird gewinnen, ohne Zweifel.«
»Mir sind natürlich die Ausdrücke, die in
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