059 - Der Preller
werden wird, denn in dieser modernen Zeit des Funks ist es nicht so leicht, von den Britischen Inseln herunterzukommen.«
»Du willst ihn wohl selbst suchen gehen?« fragte Paul.
»Jawohl, und ich werde ihn auch finden. Das ist das wenigste, was ich für die armen Teufel tun kann, die er bestohlen hat. Ich bin der reichste Räuber Englands und kann es mir leisten, meine Zeit und mein Geld der Wiedergutmachung des von Billiter verursachten Elends zu widmen. Achthunderttausend Pfund sind ja für eine Bank nicht viel«, fuhr er nachdenklich fort, »aber man weiß ja noch gar nicht, wie weit seine Unterschlagungen gehen. Warte nur, bis man seine Bücher genau nachgeprüft hat. Das dicke Ende wird schon noch nachkommen.«
Er behielt mit seiner Vermutung recht, denn die nächsten Tage brachten immer neue Hiobsbotschaften für die betrogenen Gläubiger der Bank. Nach kurzer Zeit hatte sich die unterschlagene Summe auf über eine Million Pfund erhöht, und immer noch war kein Ende abzusehen. Die Zeitungsberichte lauteten immer gleich: keine Spur von dem Flüchtling. Am vierten Tag nach dem Zusammenbruch der Bank begab sich Anthony in die einstige Wohnung des flüchtigen Bankiers. Er wurde von der Haushälterin, einer wehmütig aussehenden Dame, empfangen.
»Sind Sie von der Polizei?« lautete ihre erste Frage. »Oder vielleicht gar Berichterstatter?«
»Weder das eine noch das andere«, beruhigte sie Anthony. »Ich gehöre zu den wenigen, die immer noch glauben, daß Mr. Billiter zu Unrecht beschuldigt wird. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß ihm etwas zugestoßen sein muß.«
Er hatte am selben Morgen in der Zeitung einen Bericht gefunden, der von einem der Journalisten nach einer Unterredung mit der Haushälterin niedergeschrieben worden war. Sie hatte eine gleiche Vermutung ausgesprochen, wie Anthony sie eben geäußert hatte. Allerdings wußte sie nicht, daß der Preller eben deshalb für die Unterredung mit ihr dieses Thema gewählt hatte.
»Vielleicht treten Sie näher, mein Herr«, lud sie den Besucher liebenswürdig ein. Anthony sah sich in einem luxuriös ausgestatteten Wohnraum.
»Vielleicht können Sie mir mitteilen, wann Sie Mr. Billiter zum letztenmal gesehen haben?« eröffnete Anthony das Verhör.
»Am Abend vor seinem Verschwinden«, entgegnete Mrs. Mudge, wie die Haushälterin hieß. »Er verabschiedete sich wie gewöhnlich mit einem Gute-Nacht-Gruß von mir. Am nächsten Morgen trug ich ihm die gewohnte Tasse Tee in sein Schlafzimmer, und erst da bemerkte ich, daß das Zimmer leer und das Bett überhaupt nicht benutzt worden war. Ich dachte mir zunächst nichts dabei, denn mein Herr ging sehr oft zeitig weg. Nur in seinem Nachhausekommen war er regelmäßig wie eine Uhr. Meist fuhr er am Freitag früh weg und kam erst am folgenden Montagabend wieder zurück.«
»So? Seit wann pflegte er denn diese Reisen zu unternehmen?«
»Seit vielen Jahren.« Mrs. Mudge blickte sich um. »Hier spielt irgendein Geheimnis mit, Sir«, flüsterte sie dem Besucher zu. »Zum Beweis werde ich Ihnen etwas zeigen, was nicht einmal die Polizei zu sehen bekommen hat.« Sie stand auf und holte aus dem Schreibtisch einen Gegenstand, den sie Anthony in die Hand legte. Es war ein Karton, der auf allen Seiten mit Bildern aus dem Kinderleben beklebt war.
»Die Polizei glaubt, daß sie klug sei«, höhnte die Frau, »aber sie war doch nicht schlau genug, dies Ding hier zu finden.«
»Wo haben Sie es denn aufgestöbert?« wollte der Preller wissen.
»Ganz hinten in Mr. Billiters Schreibtischschublade.« Sie öffnete den Karton. Er war mit allen möglichen Dingen angefüllt: Da waren Kinderklappern, Gummisauger für Säuglinge, Schwesternhauben, wollene Babystrümpfe, auch Knochenringe, wie sie den Kindern zum Spielen gegeben werden. Alle Gegenstände trugen noch das Etikett mit den Preisen.
Das sind Muster, flog es Anthony beim Anblick all dieser Sachen durch den Kopf.
»War Mr. Billiter verheiratet?« fragte er die Haushälterin.
»Nein. Bestimmt nicht. Ich habe ihn oft von seiner Freude reden hören, daß er noch Junggeselle sei.«
»Merkwürdig! Diese Sachen sind doch noch ganz neu.«
Nirgends war der Name des Verkäufers oder des Fabrikanten zu finden. Wahrscheinlich kamen die Gegenstände von verschiedenen Firmen, denn die handschriftlichen Preisauszeichnungen wie auch die Art der Etiketten waren alle verschieden. Nichts deutete beim ferneren Durchsuchen des Schreibtisches darauf hin, daß Mr. Billiter
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg