0593 - Das Zeichen
Sarah, nur meine ich das genau nicht. Es ist noch etwas hinzugekommen.«
»Was denn?«
»Ich fühle mich so, als hätte ich keine Seele mehr. Als wäre aus mir etwas entwichen, entflohen, einfach weggeflogen, hinaus in irgendwelche Sphären…«
»Na und?«
»Kann ich so leben?«
Sarah lachte und deutete auf das Zeichen. »Natürlich kannst du so leben, du wirst so leben müssen. Du bist krank gewesen, sehr krank, aber jetzt hat dich die Verwandlung wieder gesund werden lassen. Das solltest du ebenfalls nicht vergessen.«
»Es war eine schlimme Krankheit, Sarah. Ich hatte furchtbare Angst, denn ich wurde immer schwächer und müder. Dabei weiß ich nicht einmal, um welche es sich da genau gehandelt hat. Kein Arzt hätte mich vor Schäden retten können.«
»Das weiß ich.« Sie lächelte so, als wäre sie über gewisse Dinge genauestens informiert. Dabei zeichnete sie mit der Zungenspitze ihre schmalen Lippen nach.
Er verstand, ohne zu begreifen, das Mißtrauen allerdings war gesät. »Was meinst du?«
»Ich kenne mich aus, Söhnchen, denn ich habe dafür gesorgt, daß du krank wurdest.«
Daß er wieder zu Kräften gekommen war, bewies er im nächsten Augenblick, als er sich ruckartig aufsetzte. Sein Blick nahm eine gewisse Starrheit an, die Lippen bildeten einen Strich, und er sah aus, als würde er jeden Moment sein Bett verlassen. »Du?« keuchte er.
Sie schob eine Hand vor. »Nun beruhige dich mal, mein Freund. Keine Aufregung, bitte.«
»Aber das ist nicht wahr…«
Sarah nickte auf dem Bettrand hockend. Dabei bewegte sie sehr langsam den Kopf. »Es ist alles so, wie ich es dir gesagt habe, Söhnchen. Du weißt vielleicht, daß ich etwas Besonderes bin. Ich gehöre zu den Menschen, die viel wissen, obwohl sie in diesem Hause nur eine untergeordnete Stelle eingenommen haben. Doch ich habe lernen können, ich mußte einfach lernen, und ich will dir ehrlich sagen, daß ich mich in den Dingen auskenne, die man als Hexerei bezeichnet. Ich habe deine Mahlzeiten präpariert. Es gibt gewisse Kräuter, die man nur dem Essen zugeben muß, um einen Menschen beeinflussen zu können.«
»Das hast du getan?«
»So ist es.«
Es sah aus, als wollte Nathan vor der Person zurückweichen, nur konnte er das nicht.
»Sei ruhig«, sagte sie. »Sei ganz ruhig. Ich habe es nicht grundlos getan, Söhnchen. Es geschah alles zu deinem Besten, das darfst du nicht vergessen.«
Er lachte auf. »Zu meinem Besten? Ich…«
»Bist du noch schwach?« fiel sie ihm ins Wort.
»Nein.«
»Na bitte.«
»Aber ich kann nicht…«
»Du wirst aufstehen und ein anderer sein. Du bist schon ein anderer, Söhnchen.«
»Ich bin… ich bin zweigeteilt. Ich habe meine Seele verloren, Sarah. Das weiß ich genau. Ich fühle mich gesund, aber nicht gut. Etwas fehlt, das den Menschen ausmacht.«
»Du wirst dich daran gewöhnen.«
»Nein, nein. Ich habe es schon einmal erlebt, aber anders, denn da schlief ich.«
»Na bitte.«
Er sprach ins Leere. »Mein Körper ist verlassen worden, ich fühle mich verlassen.« Die ausgestreckte Hand der Frau übersah er bewußt. Sein Blick glitt an ihr vorbei in Richtung Tür. »Ich möchte gehen.«
»Das sollst du auch.«
»Dann muß ich zu meinem Vater. Er weiß von allem nichts. Ich möchte ihn aufklären.«
»Nein!« Knallhart hatte sie die Antwort gegeben. »Du wirst nicht zu deinem Vater gehen.«
»Weshalb denn nicht?«
»Ganz einfach. Weil dein Vater es nicht begreifen würde.«
»Aber er kennt die Kabbala ebenfalls. Er ist eingeweiht in ihre Geheimnisse.«
»Später, Söhnchen, später kannst du alles tun, was du willst. Vorerst jedoch bleiben wir zusammen.«
Nathan wagte nicht zu widersprechen. Obwohl er sich fit fühlte, spürte er, daß die Person auf seinem Bettrand Macht über ihn besaß.
Sie brauchte nichts zu tun, einfach nur dazusitzen und zu warten und ihn dabei anzuschauen.
Nathan las in den Augen der Frau wie in einem aufgeschlagenen Buch. Worte waren überflüssig, er wußte auch so, was zu tun war und schwang seine Beine aus dem Bett.
Nach Wochen zum erstenmal aufstehen. Das konnte nicht gutgehen, die Muskulatur war geschwächt, er hätte hinfallen müssen, was aber nicht geschah. Seltsamerweise fühlte er sich ausgeruht und kräftig, als er neben dem Bett stehenblieb, sich das Haar aus der Stirn strich und sein Blick am Nachthemd entlangglitt, das er plötzlich haßte, weil es ihm wie ein Totenhemd vorkam.
Wieder faßte Sarah nach seiner Hand. Sie war viel kleiner als
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