0593 - Das Zeichen
Sinclair. Er ist nicht mehr der gleiche wie früher. Sie haben ihn durch das Kreuz verändert, was ich wollte. Er wird seinen eigenen Weg gehen wollen, wobei ich nicht weiß, wohin er führt.«
»Haben Sie denn einen Verdacht?«
»Es kann für ihn ein Weg in den Tod werden.«
Das wollte ich ihm nicht abkaufen. »Wieso in den Tod? Wenn er das Zeichen des Erzengels Michael besitzt, braucht es kein Weg in den Tod werden, meine ich.«
Fast scheu schaute er mich an. »Ich habe versucht, ihm eine neue Existenz zu geben, aber Engel und Dämonen leben zu nahe beieinander. Es besteht bei mir die Angst, daß ich ihn zerrissen habe, begreifen Sie das? Ich habe möglicherweise die Seele von seinem Körper endgültig getrennt, wobei ich das nicht wollte.«
»Sie haben mir davon nichts gesagt.«
»Bewußt nicht, weil ich Sie nicht beeinflussen wollte. Nichts ist perfekt, Mr. Sinclair, auch nicht die Mystik der Kabbala. Es gibt immer Dinge, die man nicht erfassen kann.« Er hob die Schultern. »Ich habe zu hoch gespielt, denn der Verräter saß in meinem Haus.«
»Sie meinen, die Verräterin.«
»Natürlich. Eine Frau, der ich vertraut habe und die mein Vertrauen enttäuscht hat.«
»Ich glaube nicht, daß wir sie noch in Ihrem Haus finden werden. Sie ist gegangen.«
»Ja, und mit ihm.«
Ich atmete tief durch. Was sollte ich tun? Bei dem Rabbi bleiben und warten?
Nein, das hatte keinen Sinn. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach erst, als er den Kopf drehte. »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich werde Sie verlassen.«
»Ja, das hatte ich mir gedacht.«
»Sollte sich irgend etwas ändern, dann rufen Sie mich bitte an. Ich werde so schnell wie möglich bei Ihnen sein, Mr. Jehuda. Abgemacht?«
Er nickte. Bevor ich ging, sagte er mir noch etwas. »Auch meine Frau ist auf eine lange, schlimme Art und Weise ums Leben gekommen. Sie siechte dahin. Allmählich bin ich davon überzeugt, daß Sarah ebenfalls dahintersteckt.«
Er erntete von mir keinen Widerspruch. Auf leisen Sohlen verließ ich ihn.
Im Haus herrschte eine bedrückende Stille. Nicht einmal das Knarren eines alten Holzstücks war zu hören. Ich fühlte mich nicht wohl, weil ich einfach den Eindruck nicht loswurde, daß sich einiges zusammenballte und zuschlagen konnte.
Draußen war es dunkler geworden. Die Schwüle lastete wie ein Druck auf der Umgebung. Wenn ich Luft holte, trank ich Wasser.
Der schlechte Geschmack in meinem Mund wollte einfach nicht verschwinden.
Ich setzte mich in den Rover und startete. Vor dem Haus konnte ich wenden, dann fuhr ich den Weg langsam zurück, und ich hatte ein verdammt schlechtes Gefühl dabei…
***
Nicht weit von der Synagoge entfernt lag der alte Friedhof, auf dem die Mitglieder der Gemeinde nach ihrem Tod begraben wurden. Es war ein einsames, ein trauriges Stück Land, etwas abseits, nicht sofort erkennbar und von mächtigen Bäumen umgeben, die dichtes Laub zeigten, das den Friedhof wie ein grüner Himmel überdeckte.
Die Wege wirkten ungepflegt. Sie waren mit Gras bewachsen, das durch die Nässe rutschig geworden war. Auch Trauerweiden wuchsen auf dem Gelände. Sie paßten mit ihren langen, dünnen, nach unten hängenden Zweigen genau in die düstere Stimmung, wo die Feuchtigkeit des letzten Gewitterregens als Nebeltücher über die Grabsteine hinwegwehte oder sich zwischen die Bäume geklemmt hatte.
Es war ein Ort der Stille, der Besinnung. Die Gräber wirkten gepflegt. Sehr oft kamen die Menschen auf den Friedhof, um ihre Verstorbenen zu besuchen und für sie zu beten.
Er lag im Schutz der hohen Synagoge, die ihn stets im Blickfeld behielt. Wenn sich der Tag verabschiedet hatte und der Schatten der jüdischen Kirche länger wurde, regte sich nichts mehr auf dem Gelände. Da lag das Schweigen über ihm wie eine dichte Wand. Hin und wieder huschte ein Tier über die Gräber hinweg, kletterte ein Eichhörnchen die Stämme hoch, um im Geäst zu verschwinden.
Sarah und Nathan hatten den Friedhof erreicht. Vor dem kleinen, fast zugewachsenen Tor blieben sie stehen. Nathan trug jetzt eine dunkle Hose und ein einfaches hellblaues Hemd. »Was sollen wir hier?« fragte er zum wiederholten Mal.
»Ich will dich zu den Toten bringen.«
»Ich will nicht auf den Friedhof.«
»Das brauchst du auch nicht. Wir überqueren ihn nur und werden in die Gruft gehen.«
Nathans Augen nahmen einen starren Blick an. »In… in die Gruft?« wiederholte er.
»Ja.«
»Aber sie gehört den Rabbis. Ich… ich darf
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