0595 - Der Werwolf-Dämon
Lagerfeuer, und er schnitzte kleine Figuren.
Seit Mutter tot war, schnitzte er nicht mehr.
Bis heute hatte der Dolch unbeachtet in einer Schublade gelegen.
Philippe hatte ihn an sich genommen. Er bestand zwar nicht aus Silber, aber Philippe hatte den Dolch in der kleinen Kapelle ins Weihwasserbecken gehalten und mehrere Gebete darüber gesprochen. Das würde reichen.
Davon war er überzeugt.
Beinahe überzeugt…
Den Rest Unsicherheit nahm ihr seine Wut, sein Haß auf die Kreatur, die seinen Bruder so sinnlos, nur der Mordlust wegen, gemeuchelt hatte.
Philippe streifte durch den Wald, in dem Jean umgekommen war, und er hatte den Kopf voller düsterer Gedanken…
***
Da war noch einer auf Jagd.
Lykandomus.
Er war mehr als ein Werwolf. Er war ein Dämon. Ausgestattet mit einer Magie, die ihn stärker sein ließ als ›normale‹ Werwölfe. Einer Magie, die ihn zum Gebieter der Vollmondnächte machte. Zu einem Geschöpf, das sich über Gut und Böse erhaben fühlte, das bereit war, Schicksal zu spielen.
Lykandomus lebte in den Schatten und erfüllte sie mit dem düsteren Zwielicht seines finsteren Ich. Er durchstreifte die Jenseitssphären, aber er jagte auch auf der Erde.
Wo immer sich ihm gerade Beute bot. Ihm und dem Rudel, das ihn stets begleitete und schützte. Das mit ihm den Mond anheulte, wenn das bleiche Totenlicht der runden Himmelsscheibe am hellsten strahlte.
Lykandomus gehörte zur Schwarzen Familie der Dämonen. Sein Name war Verpflichtung. Er war der Herr der Menschenwölfe. Was immer ein Werwolf tat, was immer einem Werwolf zustieß - Lykandomus erfuhr es.
Er wußte auch, was Remus Lykoff zugestoßen war.
Und es gefiel ihm ganz und gar nicht, daß Lucifuge Rofocale, der Herr der Hölle, dazu schwieg. Immerhin hatte die abtrünnige Werwölfin Zia Thepin unter Lucifuge Rofocales Fluch gelegen. Daß der Herr der Hölle über diesen Vorfall einfach so hinwegging, ihn ignorierte, verstand Lykandomus nicht.
Ohnehin gab es vieles, das er an Lucifuge Rofocale nicht mehr verstand. Der Herr der Hölle hatte sich verändert. Nichts war mehr so wie einst.
Daher nahm Lykandomus die Sache jetzt selbst in die Hand. Wenn Lucifuge Rofocale nicht tat, was getan werden mußte, dann mußte es eben ein anderer tun.
Zia Thepin hatte immer Schwierigkeiten gemacht. Schon früher. Und jetzt hatte sie sich zu allem Überfluß auch noch mit dem Dämonenjäger Zamorra zusammengetan. Er hatte dafür gesorgt, daß sie aus der anderen Welt freikam, jener Sphäre, in die sie verbannt gewesen war.
Es mußte so sein, daß die beiden sich verbündet hatten. Denn welchen Grund sollte Zamorra sonst haben, sie, die Werwölfin, nicht zu töten, sondern zu verschonen?
So, wie sie sich früher schon gegen die ungeschriebenen Gesetze zu stellen versucht hatte, so paktierte sie jetzt mit dem Feind. Dafür würde Lykandomus sie bestrafen. Es ging nicht an, daß sie noch länger Schande über sich und alle Wölfischen in der gesamten Hölle brachte.
Eigens dafür war der Werwolf-Dämon mit seinem Rudel hierher gekommen.
Eine feuchte Schnauze stieß gegen seine Kniekehle. Der Älteste des Rudels hechelte begierig.
Da ist ein Mensch, teilte er seinem Herrn damit mit. Ein Opfer.
Auch Lykandomus witterte dieses Opfer bereits.
Ein Mensch bewegte sich durch diesen Wald.
Fassen wir ihn! befahl er den Wölfen.
Und das Rudel setzte sich in Bewegung…
***
Philippe verharrte. Er glaubte das Brechen von Zweigen zu hören, das Rascheln vieler Tritte im welken Laub.
Unwillkürlich lehnte er sich mit dem Rücken an einen der knorrigen Bäume, die sein großer Bruder immer gefürchtet hatte.
Sicherer fühlte er sich dadurch allerdings nicht.
Mit der Rechten umklammerte er den Dolch.
Das Rascheln und Knacken war verschwunden. Kalter Nebel trieb zwischen den Bäumen entlang und tastete mit grauen Fingern nach dem jungen Werwolf jäger.
Seine Lippen bewegten sich, lautlos formten sie ein Gebet.
Nachdem es einige Minuten ruhig geblieben war, setzte sich Philippe wieder in Bewegung. Langsam und behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen und war bemüht, selbst möglichst wenig Geräusche zu verursachen.
Aber hier und da knackte doch ein abgebrochener und unter dem Laub verborgener Ast, wenn er drauftrat.
Da - war da nicht etwas?
Eine schnelle Bewegung im Nebel, an der äußersten Grenze des Sichtbereichs?
Wieder blieb Philippe stehen, wagte nicht zu atmen.
Nichts… Stille…
Plötzlich ein schriller Laut in seiner
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