0595 - Radio-Grauen
aber ich höre sie. Sie sind in meinem Kopf, sie füllen ihn aus, sie… sie geben mir Befehle. Nein, nein, nein, das kann ich nicht.«
Innerhalb von Sekunden hatte er sich verändert. Er drehte sich auf der Stelle und taumelte in den Flur, wo er gegen die Wand fiel und sich die Stirn stieß, was ihn nicht störte. Er drehte sich um und blieb breitbeinig stehen, wobei er sich mit dem Rücken hart gegen den Widerstand preßte.
»Los«, sagte Suko nur und huschte dem jungen Mann als erster nach.
Ich konnte mir vorstellen, was er befürchtete, denn ich dachte das gleiche.
Vier Tote hatte es gegeben. Vier Selbstmorde, und alles wies darauf hin, daß Jorge Dario dicht davor stand, sich mit dem verdammten Messer ins Jenseits zu befördern.
Doch diesmal waren wir zur Stelle!
Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Fremdes bekommen. Als würde sich genau dort der Befehl abzeichnen, den er aus dem Unsichtbaren empfangen hatte.
Er stieß zu.
Suko war schneller.
Seine Handkante erinnerte an einen Schatten, als sie von oben nach unten raste. Jorge Dario schrie plötzlich, dann weinte er und ließ das Messer fallen, dessen Klinge beinahe noch in seinen rechten Fuß gerammt wäre. So blieb sie im Holzboden stecken.
Er schaute auf seine Hand, die in einem bestimmten Winkel nach unten hing.
Suko faßte ihn an, er besah sich das malträtierte Gelenk und schüttelte den Kopf. »Nicht gebrochen.«
Jorge schluchzte. Er wollte in die Hocke gehen wie ein kleines Kind. Tränen rannen aus den Augen. Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt, aus dem Mund drangen heulende Laute. »Die Toten werden mich strafen!« jammerte er, »denn ich habe versagt. Ich habe versagt, ich hätte ihrem Befehl folgen müssen. Ich habe sie verraten.«
»Niemanden hast du verraten«, sagte Suko hart. »Niemanden. Sei froh, daß du noch lebst.«
»Neinnnn…! Ich will zu ihnen. Ich will in ihre Welt. Sie haben mich gerufen.«
»Da hast du mindestens noch sechzig Jahre Zeit«, erklärte der Inspektor. »Wir werden gemeinsam der kleinen Stadt einen Besuch…«
»Nein, zu den Toten!«
Jorge wollte sich losreißen. Er war wie von Sinnen und konnte nicht mehr normal handeln.
Suko zerrte ihn zu sich heran und stieß ihn hart gegen die Flurwand. Der heftige Aufprall brachte ihn wieder einigermaßen ins Gleichgewicht, jedenfalls verstummte sein jammerndes Geschrei, und er stierte uns aus blassen Augen an.
»Wir werden gehen«, sagte Suko. »Wir werden deinen Vater besuchen und auch die anderen.«
»Dann sterbt auch ihr.«
»So leicht stirbt man nicht.« Suko hielt Jorge noch immer fest und drehte ihn herum, so daß der nun in Richtung Treppe schauen konnte. Dann schob der Inspektor ihn vor.
Max Schreiber war an meiner Seite geblieben. Auch ihm war der Vorgang tief unter die Haut gegangen. »Ich begreife es nicht, Mr. Sinclair. Hätte ich gewußt, was auf mich zukommt, Himmel, ich hätte mich mit anderen Themen beschäftigt.«
»Wir können es noch zu einem Ende bringen, bevor sie ihre gesamte Kraft ausbreiten.«
»Schaffen wir das denn?«
»Es ist immerhin einen Versuch wert. Finden Sie nicht auch?«
»Ja, eigentlich schon.«
Suko und Jorge waren vorgegangen.
In der großen Küche trafen wir sie wieder. Die Blutlache neben dem Schrank hatte sich mittlerweile vergrößert. Irgend jemand würde den Hund und die toten Katzen wegholen müssen. Fliegen kreisten über der Lache, die einen widerlichen Geruch abgab.
»Wir gehen jetzt zum…«
»Halt, Suko.« Ich überraschte ihn mit dieser Bemerkung, hatte sie allerdings nicht grundlos gesagt, denn auf meiner Brust, genau dort, wo das Kreuz hing, spürte ich die Wärme, die von dem silbernen Edelmetall abstrahlte.
»Was ist denn?«
»Mein Kreuz hat sich erwärmt.«
Suko wußte Bescheid, Max nicht, was wir ihm ansahen. Ich gab auch keine Erklärung ab, schaute dafür auf Jorge, der zuckend in Sukos Griff stand und sich ansonsten nicht bewegte. Wenn sich mein Kreuz ›meldete‹, war Schwarze Magie im Spiel. Stellte sich nur die Frage, wo die Quelle dafür lag.
Bei Jorge Dario?
Ich ging näher an den jungen Mann heran und achtete dabei auf eine verstärkte Erwärmung. Sie trat nicht ein. Jorge, dem alles suspekt war, wollte zurückweichen, wurde aber von Suko gehalten.
Nein, von ihm ging die Aura des Bösen nicht aus. Da mußte noch etwas anderes lauern.
Ich nickte Suko zu. »Wir sollten vorsichtig sein, Alter«, sagte ich.
»Sehr vorsichtig.«
»Was ist?«
»Jorge ist in dieser Hinsicht harmlos.
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