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0599 - Die Kralle

0599 - Die Kralle

Titel: 0599 - Die Kralle
Autoren: Jason Dark
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nichts.«
    George schloß die Tür. Er ließ seinen Schützling allein zurück, und Deliah spürte den Kloß im Hals. Sie starrte gegen die helle Decke und sah auch die Stuckränder an den Seiten. Ein normales Bild, doch wenn sie die Augen schloß, sah sie etwas anderes.
    Da schob sich eine Szene in ihre Gedankenwelt hinein, die sie nur zu gut kannte.
    Sie sah den Stall – das tote Pferd. Senta lag in ihrem Blut. Die Lache hatte unter dem Kopf einen großen Kreis gebildet, die Fliegen summten und schwirrten auch um die gebrochenen Augen des Tieres, das so treu gewesen war.
    Sie mußte weinen. Senta war ein echter Freund gewesen. Das Tier hatte ihr mehr entgegengebracht als mancher Mensch. Dann fiel ihr Ricardo wieder ein, und sie erinnerte sich, daß sie sein Grab kaum besucht hatte. Sie hatte es zwar immer vorgehabt, es letztendlich dann vergessen oder es bewußt verdrängt.
    Schlafen sollte sie, einfach schlafen. Wenn das so leicht gewesen wäre, bei ihrem aufgewühlten Inneren. Die Augen fielen ihr manchmal zu, nur für Sekunden, dann öffnete sie sie wieder und blickte zur Decke.
    Sie atmete schwer, überlegte, ob sie noch was trinken sollte, als das Telefon summte.
    Es stand in relativer Griffweite. Um den Hörer zu nehmen, mußte sie sich nur aufrichten.
    Bestimmt ihre Mutter, die aus London einige Male am Tag anrief, um irgendwelchen Unsinn zu erzählen. Zumeist ging es um die Gäste und um die Klamotten, die angezogen werden mußten.
    Deliah Courtain hob ab und kam nicht dazu, sich zu melden, denn der Anrufer lachte leise.
    Sofort wußte sie, wer es war. Blitzartig strömte Schweiß aus den Poren und machte auch ihre Handfläche glatt. Fast wäre ihr der Hörer aus der Hand gefallen.
    »Ricardo!« stieß sie hervor.
    »Jawohl, Prinzessin, ich bin es…«
    ***
    Seine Worte klangen dünn, so weit entfernt, als wären sie Lichtjahre auseinander. Aber Deliah wußte, daß es seine Stimme war und nicht die eines vorgeschickten Imitators.
    Sie hatte sich wieder gelegt, um mehr Halt zu haben. Dennoch wünschte sie sich, den Boden als gewaltiges Loch zu sehen, das sie verschlang, sogar bis in die Hölle.
    »Hörst du noch, Deliah?«
    »J… ja …«
    »Wie gut.« Er lachte leise. »Na, was macht dein neuer Mann? Wie geht es ihm und dir?«
    Sie leckte über ihre Lippen und merkte, daß sie spröde waren. Sie dachte an alles andere, nur nicht an seine Stimme, und hörte nicht hin, was er sagte. Zudem schloß sie die Augen, doch das Bild war da, wie ein Dia, das immer wieder vor die Optik des Projektors geschoben wurde.
    Das tote Pferd, das Blut, die Fliegen, der schlimme Geruch…
    »Du hast es getötet«, sprach sie zunächst leise. Dann wiederholte sie die Worte rauher. Schließlich schrie sie den Satz hervor. »Ja, du hast sie getötet!«
    »Wen?«
    »Meine Stute, mein Pferd, meine Senta.« Hart umklammerte sie den Hörer. »Du hast ihm mit deiner verdammten Klaue die Kehle und den Hals aufgerissen, damit es elendig verblutete.« Deliah atmete heftig. Sie hatte es sagen müssen.
    »Stimmt, Prinzessin. Ich habe das Pferd umgebracht!«
    Nein! schrie es in ihr. Nein, warum sagst du denn nicht, daß du es nicht getan hast? Weshalb schleuderst du mir die ganze verfluchte Wahrheit an den Kopf – weshalb? Ihre Hoffnung zerbröselte wie eine Zuckerstange zwischen den ungeschickten Fingern eines Kindes. Er hatte es zugegeben, bestimmt tat es ihm nicht einmal leid, diesem Menschen…
    »Du bist doch tot«, krächzte sie, obwohl sie eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. Der Satz kam ihr so lächerlich vor, einfach unrealistisch, völlig verkehrt.
    »Auch Tote können leben!«
    Sie lachte schrill. Mehr eine Reaktion der Verlegenheit. Mit der freien Hand strich sie Haarsträhnen aus der Stirn. »Das ist Wahnsinn, Ricardo! Tote sind tot, es gibt für sie kein Zurück mehr. Verstehst du das?«
    »Denk an unsere nächtlichen Gespräche. Ich habe dir viel berichtet, vielleicht nicht genug. Und ich habe dir gesagt, daß ich immer auf dich achtgeben werde, sollte ich einmal nicht mehr sein. Das hast du doch nicht vergessen – oder?«
    »Nein, nicht.«
    »Aber du hast nicht daran geglaubt?«
    »So ist es.«
    »Jetzt erfährst du das Gegenteil. Ich will nicht, daß du ihn heiratest, nicht diesen Spinner. Wir wollten doch heiraten! Du sollst mir gehören, du wirst mir gehören, Prinzessin.«
    »Du bist verrückt, Ricardo.« Sie unterbrach ihn mitten im Satz.
    »Du… du mußt verrückt sein.«
    »Nach dir.«
    »Ich… ich habe
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