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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Deborah war, daß nichts besonders sicher war.
    Im Prinzip genoß er ihr leidenschaftliches Naturell. Sie war lebendiger als jeder, den er kannte. Aber ohne Vorbehalt lebendig zu sein, verlangte auch, ohne Vorbehalt zu fühlen, und so war sie in ihren Tiefs natürlich ebenso hoffnungslos wie in ihren Hochs ekstatisch. Diese Tiefs waren es, die ihm angst machten, so daß er ihr am liebsten geraten hätte, sich zurückzunehmen. Versuch, nicht so tief zu fühlen lag ihm ständig auf der Zunge. Er hatte ja selbst längst gelernt, sich an dieses Rezept zu halten. Doch ihr zu sagen, sie solle nicht fühlen, war so, als rate man ihr, sie solle nicht atmen. Außerdem gefiel ihm dieser Emotionensturm, in dem sie lebte. Vor Langweile waren sie garantiert bewahrt.
    Als sie deshalb, nachdem sie ihr letztes Grapefruitstückchen gegessen hatte, sagte: »Ich weiß jetzt, was es ist. Ich brauche eine feste Richtung. Ich kann dieses blinde Herumtappen nicht mehr aushalten. Es wird Zeit, daß ich mich auf eins konzentriere. Ich muß mich endlich einmal auf etwas einlassen und dann dabeibleiben«, gab er eine vage zustimmende Antwort, während er sich fragte, wovon, zum Teufel, sie da redete.
    »Ja, das ist wichtig«, er strich etwas Butter auf eine dreieckige Scheibe Toast. Auf seine zustimmenden Worte nickte sie heftig und klopfte mit ihrem Kaffeelöffel enthusiastisch ihr Ei auf. Als sie keine Anstalten machte, ihre Pläne expliziter zu formulieren, meinte er versuchsweise: »Bei diesem Herumtappen hat man das Gefühl, man hätte keinen Boden unter den Füßen, nicht wahr?«
    »Simon, genau das ist es. Du verstehst mich wirklich immer.«
    Er klopfte sich im stillen auf die Schulter, während er erwiderte: »Und wenn man sich für eine bestimmte Richtung entscheidet, schafft man sich eine Basis, nicht wahr?«
    »Genau.«
    Sie kaute glücklich ihren Toast. Sie sah zum Fenster hinaus in den grauen Tag, auf die feuchte Straße und die tristen, rußgeschwärzten Häuser. Ihre Augen leuchteten im Glanz irgendwelcher obskuren Möglichkeiten, die sie dem eiskalten Wetter und der bedrückenden Umgebung abzugewinnen schien.
    »Und worauf willst du dich nun konzentrieren?« fragte er in dem Versuch, sich auf dem schmalen Grat zwischen freundlicher Zusammenfassung und eingehenderem Interesse zu halten.
    »Da bin ich mir noch nicht ganz sicher«, antwortete sie.
    »Ach so.«
    Sie griff nach der Erdbeermarmelade und klatschte einen Teelöffel voll auf ihren Teller. »Aber man braucht sich ja nur anzusehen, was ich bisher gemacht habe. Landschaften, Stilleben, Porträts. Häuser, Brücken, Hotelinterieurs. Frau Kunterbunt persönlich. Kein Wunder, daß es mir nicht gelingt, mir einen Ruf zu schaffen.«
    Sie strich Marmelade auf ihren Toast und gestikulierte temperamentvoll. »Ich muß für mich entscheiden, welche Art der Fotografie mir persönlich am meisten Freude macht. Ich muß meinem Herzen folgen. Ich muß aufhören, mich in alle Richtungen zu verzetteln und jedem Angebot nachzulaufen. Ich kann nicht in allem hervorragend sein. Das kann niemand. Aber in einem Teilbereich kann ich hervorragend sein. Anfangs, als ich noch in der Schule war, dachte ich, es wäre die Porträtfotografie, das weißt du ja. Dann hab ich mich davon abbringen lassen und habe Landschaften und Stilleben gemacht. Und jetzt übernehme ich jeden Auftrag, den ich ergattern kann. Das ist nicht gut. Ich muß mich jetzt endlich entscheiden.«
    Auf ihrem Morgenspaziergang zum Park, wo Deborah die Enten mit den Toastresten fütterte und sie das Kriegerdenkmal des einsamen Soldaten betrachteten, sprach sie von ihrer Kunst. Stilleben böten eine Fülle von Möglichkeiten - ob er eigentlich wüßte, was die Amerikaner derzeit mit Blumen und Farbe machten? Ob er diese Studien mit erhitztem und säurebehandeltem Metall kenne? Yoshidas Darstellung von Früchten? -, andererseits mache das Ganze einen ziemlich distanzierten Eindruck. Es sei kein großes emotionales Risiko dabei, wenn man eine Tulpe oder eine Birne fotografierte. Landschaften seien herrlich - ein Genuß mußte das sein, als Reisefotograf in Afrika oder im Orient zu fotografieren -, aber sie verlangten eigentlich nur ein Auge für die Komposition, Geschick im Umgang mit dem Licht, Filtern und Filmarten, kurz, rein technisches Wissen. Porträts hingegen - nun, da spielte ein Element des Vertrauens mit, das zunächst zwischen dem Künstler und seinem Modell hergestellt werden mußte. Und Vertrauen setzte Risikobereitschaft

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