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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ungefähr siebzig und bin überzeugt, sie würde uns beide im Tennis schlagen. Kurz und gut, sie und Susanna kamen sich nach dem Tod des kleinen Joseph eine Weile ziemlich nahe. Da sie das gleiche durchgemacht hatte, wollte sie Susanna helfen, soweit diese das zuließ, aber sehr weit ging es offenbar nicht.«
    Er holte ein Vergrößerungsglas aus der Schreibtischschublade, hielt es über die gefaxte Fotografie und wünschte, er hätte das Original vor sich. Die Frau auf dem Foto hatte ein volleres Gesicht als Juliet Spence, das Haar schien dunkler zu sein, fiel ihr lockig über die Schultern herab. Doch seit die Aufnahme gemacht worden war, war mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Die Jugendlichkeit dieser Frau war vielleicht der Reife einer anderen gewichen. Trotzdem war die Ähnlichkeit unverkennbar.
    Havers fuhr fort: »Sie hat mir erzählt, sie und Susanna seien nach der Beerdigung des Kindes viel zusammengewesen. Sie sagte, der Verlust eines Kindes, besonders ein solcher Verlust eines Säuglings, sei etwas, worüber eine Frau niemals hinwegkommt. Sie denkt heute noch jeden Tag an ihre Juliet und vergißt niemals ihren Geburtstag. Und immer fragt sie sich, zu was für einem Menschen sie sich wohl entwickelt hätte. Sie hat mir erzählt, daß sie heute noch von dem Nachmittag träumt, als das Kind plötzlich nicht mehr erwachte.«
    Es war eine Möglichkeit, unklar wie die Fotografie selbst, aber dennoch real.
    »Sie bekam nach Juliet noch zwei Kinder, Gladys, meine ich. Sie versuchte, Susanna damit zu trösten, daß der schlimmste Schmerz vorbeigehen würde, wenn andere Kinder kämen. Aber Gladys hatte außerdem ein Kind, das vor Juliet geboren und am Leben geblieben war. Susanna hielt ihr das immer vor.«
    Er legte das Vergrößerungsglas und die Fotografie weg. Nur über einen Punkt mußte er sich noch Gewißheit verschaffen, ehe er handelte. »Havers«, sagte er, »hat man Susannas Leiche je gefunden? Und wenn ja, wer hat sie gefunden und wo?«
    »Sie ist nie gefunden worden. Auch das hat Gladys mir erzählt. Es hat zwar eine Trauerfeier stattgefunden, aber das Grab ist leer. Nicht einmal ein Sarg ist darin.«
    Er beendete das Gespräch und nahm seine Brille ab. Er polierte ihre Gläser sorgfältig mit einem Taschentuch, ehe er sie wieder aufsetzte. Er blickte auf seine Notizen hinunter - Aspatria, Holystone, Tiree, Benbecula - und ihm wurde klar, was sie zu tun versucht hatte. Der Grund für dies alles, dessen war er sicher, lag bei Maggie.
    »Ein und dieselbe Person, nicht wahr?«
    Helen stand aus ihrem Sessel auf und stellte sich hinter ihn, um über seine Schulter hinweg auf die Papiere hinunterzublicken, die er vor sich ausgebreitet hatte. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter.
    Er legte die seine darauf. »Ja, ich glaube, so ist es«, sagte er.
    »Und was bedeutet es?«
    Er sprach nachdenklich. »Sie wird eine Geburtsurkunde für einen neuen Paß gebraucht haben, da sie in Frankreich ja heimlich von der Fähre verschwinden wollte. Vielleicht hat sie sich auf dem Standesamt eine Kopie der Geburtsurkunde dieser Juliet Spence besorgt, vielleicht hat sie auch Gladys ohne deren Wissen das Original entwendet. Vor ihrem ›Selbstmord‹ war sie bei ihrer Schwester in London. Da hätte sie Zeit gehabt, alles zu arrangieren.«
    »Aber warum?« fragte Helen. »Warum hat sie das getan?«
    »Vielleicht weil sie tatsächlich die Frau war, die im Ehebruch ergriffen wurde.«

    Sachte Bewegung im Bett weckte Helen am folgenden Morgen, und sie öffnete blinzelnd ein Auge. Graues Licht drang durch die Vorhänge und fiel auf ihren Lieblingssessel, über dessen Lehne ein Mantel geworfen war. Die Uhr auf ihrem Nachttisch zeigte kurz vor acht an. »Du lieber Gott«, murmelte sie, knüllte ihr Kopfkissen zusammen und drückte mit Entschlossenheit ihre Augen zu. Wieder bewegte sich das Bett.
    »Tommy«, sagte sie, griff blind nach der Uhr und drehte sie zur Wand, »ich glaube, es ist noch nicht einmal Tag. Wirklich, Darling. Du brauchst noch ein bißchen Schlaf. Wann sind wir denn eigentlich ins Bett gekommen? Das war doch bestimmt zwei Uhr?«
    »Verdammt«, sagte er leise. »Ich weiß es. Ich weiß es genau.«
    »Gut. Dann leg dich wieder hin.«
    »Die Lösung ist hier, Helen, irgendwo hier.«
    Sie runzelte die Stirn und wälzte sich auf die andere Seite, sah, daß er aufrecht im Bett saß, die Brille fast vorn an der Nasenspitze, und einen ganzen Wust von Zetteln, Flugblättern, Fahrscheinen, Programmen und anderen Papieren

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