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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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wissen, wie ich's meinen Kindern zeig, daß ich sie liebhab, und ob ich's ihnen regelmäßig zeig, und wie ich sie bestrafe, wenn sie mal Quatsch gemacht haben. Na, der gleiche Mist, mit dem Sozialarbeiter immer ankommen.« Sie neigte sich zur Seite und knipste eine Lampe an. Der Schirm war nicht gerade kunstvoll mit einem roten Schal überzogen worden. Im Licht der Glühbirne nahmen sich große Kleberflecken unter dem Stoff wie die beiden Teile Amerikas aus. »Na ja, und da hab ich eben gedacht, er wär mein neuer Sozialarbeiter, und das wäre seine ach so clevere Art, mit mir Bekanntschaft zu schließen.«
    »Aber gesagt hat er das nie.«
    »Er hat mich nur so angeschaut, wie die das immer tun, mit Hundeblick und Kummerfalten.«
    Sie ahmte nicht schlecht einen Ausdruck künstlichen Mitgefühls nach. Lynley versuchte, nicht zu lächeln, schaffte es aber nicht. Sie nickte. »Ich hab diese Bande seit meinem ersten Kind auf dem Hals, Mister. Eine Hilfe sind sie nie, und sie verändern auch nichts. Sie glauben einem nicht, daß man sein Bestes tut, und wenn was passiert, dann geben sie einem selbst zuallererst die Schuld. Ich hasse sie alle miteinander. Sie sind schuld, daß ich meine Tracey Joan verloren habe.«
    »Tracey Jones?«
    »Tracey Joan. Tracey Joan Cotton.«
    Sie drehte sich im Sofa und wies auf die Atelieraufnahme in der Mitte der Collage. Da hielt ein lachendes Baby einen grauen Stoffelefanten. Sheelah berührte mit den Fingern das Gesicht des Kindes. »Mein kleines Mädchen«, sagte sie. »Das war meine Tracey.«
    Lynley bekam eine Gänsehaut. Fünf Kinder, hatte sie gesagt. Weil sie schwanger war, hatte er es mißverstanden. Er stand auf und sah sich das Foto genauer an. Das Kind sah nicht älter als vier oder fünf Monate aus. »Was ist ihr denn zugestoßen?« fragte er.
    »Sie ist eines Abends entführt worden. Sie haben sie mir aus meinem Auto gestohlen.«
    »Wann?«
    »Ich weiß nicht.«
    Sheelah sprach hastig weiter, als sie sein Gesicht sah. »Ich bin ins Pub gegangen, weil ich mich da mit ihrem Vater treffen wollte. Sie hat im Auto geschlafen, und ich hab sie drin gelassen, weil sie ein bißchen Fieber hatte und endlich aufgehört hatte zu quengeln. Als ich wieder rauskam, war sie weg.«
    »Ich wollte eigentlich wissen, wie lange das alles her ist«, sagte Lynley.
    »Im letzten November waren es zwölf Jahre.«
    Sheelah drehte sich wieder herum, wandte sich von der Fotografie ab. Sie tupfte sich die Augen. »Sie war erst sechs Monate alt, meine kleine Tracey Joan, und als sie entführt worden ist, da hat diese verdammte Bande vom Sozialdienst keinen Finger gerührt. Das einzige, was sie getan haben, war, daß sie die Sache der Polizei übergeben haben.«

    Lynley saß im Bentley. Er dachte daran, das Rauchen wieder anzufangen. Er erinnerte sich des Gebets aus Hesekiel, das in Robin Sages Buch eingemerkt gewesen war: »Und wenn sich der Gottlose von seiner Gottlosigkeit bekehrt und tut, was recht und gut ist, so soll er deshalb am Leben bleiben.«
    Das war es, worauf diese ganze Geschichte letztlich hinauslief: Er hatte ihr Leben - sprich: ihre Seele - retten wollen. Doch sie hatte das Kind retten wollen.
    Er versuchte, sich das moralische Dilemma vorzustellen, vor dem der Geistliche gestanden hatte, als er Sheelah Yanapapoulis endlich gefunden hatte. Denn zweifellos hatte seine Frau ihm die Wahrheit gesagt. Die Wahrheit war ihre einzige Verteidigung und die beste Möglichkeit gewesen, ihn dazu zu bewegen, das Verbrechen, das sie vor so vielen Jahren begangen hatte, zu übersehen.
    Hör mir zu, hatte sie vermutlich zu ihm gesagt. Ich habe sie gerettet, Robin. Möchtest du wissen, was in Kates Unterlagen über ihre Eltern stand, über die Verhältnisse, in die sie hineingeboren war, und über das, was ihr zugestoßen war? Willst du alles wissen, oder hast du vor, mich einfach zu verurteilen, ohne die Fakten zu kennen?
    Sicherlich hatte er alles wissen wollen. Er war im Grunde ein anständiger Mensch gewesen, dem es darum gegangen war, das Rechte zu tun, nicht nur das, was das Gesetz vorschrieb. Er würde sich also die Fakten angehört und sie dann persönlich in London überprüft haben. Zuerst indem er Kate Gitterman aufsuchte und herauszubringen versuchte, ob seine Frau tatsächlich Zugang zu den Fallakten ihrer Schwester gehabt hatte, als diese damals, vor so langer Zeit, beim Sozialdienst tätig gewesen war. Dann indem er direkt zum Sozialdienst gegangen war, um das junge Mädchen ausfindig zu

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