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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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das Herz plötzlich bis zum Hals. Punkin sprang vom Fensterbrett auf den Teppich hinunter. Wie ein orangefarbener Blitz sauste er zur Tür hinaus, noch ehe Maggie Zeit hatte, sich klarzumachen, daß jemand den Baum hinaufgeklettert sein mußte.
    Und dann war es schon zu spät. Sie hörte den gedämpften Aufprall eines Körpers auf dem Schieferdach des Häuschens. Leise Schritte folgten. Dann hörte sie vorsichtiges Klopfen an der Fensterscheibe.
    Am liebsten hätte sie geschrien: Sie haben sich geirrt, Sie wollen doch ins Herrenhaus, oder nicht? Statt dessen jedoch ließ sie das Album mit den Zeitungsausschnitten neben dem Bett auf den Boden sinken und glitt an der Wand entlang in die dunkelste Ecke des Raumes. Ihre Handflächen juckten. Ihr Magen knurrte. Sie wollte nach ihrer Mutter rufen, aber das hätte überhaupt keinen Sinn gehabt. Einen Augenblick später war sie froh, daß ihre Mutter nicht da war.
    »Maggie? Bist du da?« hörte sie ihn leise rufen. »Mach auf, ja? Ich frier mir hier draußen den Hintern ab.«
    Nick! Maggie flitzte durch das Zimmer. Sie konnte ihn sehen. Er kauerte auf dem schrägen Dach gleich neben ihrem Dachfenster und lachte sie an. Seidige schwarze Haarsträhnen lagen wie Vogelschwingen auf seinen Wangen. Sie sperrte auf. Nick, Nick, dachte sie. Aber gerade, als sie das Fenster hochschieben wollte, hörte sie ihre Mutter sagen: Ich möchte dich nie wieder allein mit Nick Ware erwischen. Ist das klar, Margaret Jane? Schluß damit. Das ist vorbei.
    Sie zögerte.
    »Maggie!« flüsterte Nick. »Laß mich rein. Es ist kalt.«
    Sie hatte ihr Wort gegeben. Ihre Mutter hatte fast geweint bei ihrem Streit, und der Anblick ihrer roten, feuchten Augen hatte Maggie dazu gebracht, das Versprechen zu geben, ohne darüber nachzudenken, was es tatsächlich bedeutete.
    »Ich kann nicht«, sagte sie.
    »Was?«
    »Nick, meine Mutter ist nicht zu Hause. Sie ist mit Mr. Shepherd ins Dorf gefahren, und ich hab ihr versprochen.«
    Sein Grinsen wurde noch breiter. »Na wunderbar. Das ist doch bestens. Komm schon, Mag. Laß mich rein.«
    Sie schluckte krampfhaft. »Ich kann nicht. Ich darf nicht mit dir allein sein. Ich hab's versprochen.«
    »Warum denn?«
    »Weil - ach Nick, du weißt doch.«
    Er senkte die Hand, die bis jetzt an der Fensterscheibe gelegen hatte. »Aber ich wollte dir doch nur zeigen - ach, verdammter Mist.«
    »Was denn?«
    »Nichts. Vergiß es. Laß es.«
    »Nick, sag's mir.«
    Er wandte das Gesicht ab. Er trug das Haar in einer Art Bubikopf, das Deckhaar übermäßig lang, genau wie die anderen Jungen, aber bei ihm sah es nie modisch aus. Es sah genau richtig aus, so als hätte er die Frisur erfunden.
    »Nick.«
    »Es ist nur ein Brief«, sagte er. »Ganz unwichtig. Vergiß es.«
    »Ein Brief? Von wem denn?«
    »Es ist nicht wichtig.«
    »Aber wenn du extra hergekommen bist...«
    Dann fiel es ihr ein. »Nick, hat etwa Lester Piggott dir geschrieben? Ja? Hat er dir auf deinen Brief geantwortet?«
    Es war kaum zu glauben. Aber Nick schrieb an alle Jockeys und vergrößerte beständig seine Sammlung an Briefen. Er hatte von Pat Eddery Antwort bekommen, von Graham Starkey, Eddie Hide. Aber Lester Piggott war die Krönung, ganz zweifellos.
    Sie schob die Scheibe hoch. Der kalte Wind blies wie eine Wolke ins Zimmer.
    »Hab ich recht?« fragte sie.
    Aus seiner abgewetzten alten Lederjacke - angeblich das Geschenk eines amerikanischen Bomberpiloten des Zweiten Weltkriegs an seinen Großonkel - zog Nick einen Brief hervor. »Viel ist es nicht«, sagte er. »Nur Nett von Dir zu hören, mein Junge. Aber er hat selbst unterschrieben, ganz klar und deutlich. Keiner hat geglaubt, daß er mir antworten würde, weißt du noch, Mag? Das wollte ich dir nur erzählen.«
    Es wäre gemein gewesen, ihn draußen in der Kälte zu lassen, wo er doch aus so unschuldigem Grund gekommen war. Selbst ihre Mutter konnte dagegen nichts einzuwenden haben. »Komm rein«, sagte Maggie.
    »Lieber nicht, wenn du dann Ärger mit deiner Mutter kriegst.«
    »Nein, nein, das ist schon in Ordnung.«
    Er schob sich durch die Fensteröffnung und ließ das Fenster demonstrativ offen. »Ich hab gedacht, du wärst schon ins Bett gegangen. Ich hab zu den Fenstern reingeschaut.«
    »Und ich hab gedacht, du wärst ein Einbrecher.«
    »Warum machst du kein Licht?«
    Sie senkte den Blick. »Ich hab Angst. Wenn ich allein bin.«
    Sie nahm den Brief aus seiner Hand und bewunderte die Anschrift. Nick Ware, Esq., Skelshaw Farm, stand da mit

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