06 - Der Schattenkrieg
ihnen zeigte. Der Gurt seiner MP-5 hatte zwei Schlaufen, so daß er sie in Feuerposition tragen konnte. Die Mündung war mit Isolierband verklebt, um zu verhindern, daß Schmutz sie verstopfte, und auch die Gurthaken waren mit Band umwickelt, damit sie so wenig Geräusch wie möglich machten. Lärm war ihr ärgster Feind.
Nach einem sechsstündigen Marsch kam ihr Ziel in Sicht. Chavez drückte fünfmal auf die Sendetaste seines Funkgeräts, das Zeichen für den Zug abzuwarten, bis er die Stelle erkundet hatte. Ein richtiger Adlerhorst war für sie ausgesucht worden, von dem aus sie bei Tag einen kilometerlangen Abschnitt der Straße, die sich von Manizales nach Medellin wand, überblicken konnten. Abseits dieser Straße lagen die Anlagen zur Weiterverarbeitung der Cocablätter; sechs sollten nur einen Nachtmarsch von dieser Position entfernt sein. Chavez ging aufmerksam um die Stelle herum und suchte nach Fußspuren, Abfall und anderen Hinweisen auf menschliche Aktivität. Nach einer halben Stunde drückte er wieder auf die Sendetaste: alles klar. Der Rest des Zuges hatte inzwischen genug Zeit gehabt, das Gelände hinter sich nach Verfolgern abzusuchen. Als Captain Ramirez eintraf, hob sich der Berg im Osten schon gegen den roten Morgenhimmel ab.
Wie zuvor ließ Ramirez seine Männer sich zu zweit verteilen. In der Nähe floß ein Bach, aber diesmal hatte niemand Durst. Chavez und Vega gingen auf einer der beiden Seiten des Lagers in Position, aus denen sich Fremde am wahrscheinlichsten nähern würden: einem nicht sehr steilen Hang mit wenigen Bäumen und freiem Schußfeld.
»Na, wie steht’s, Oso?«
»Wann schicken sie uns endlich mal in eine kühle, ebene Gegend, in der man genug Luft zum Atmen hat?« stöhnte Sergeant Vega, setzte seinen Tornister ab und stellte ihn so hin, daß er eine bequeme Rückenstütze hatte. Chavez folgte seinem Beispiel.
»In solchen Gegenden werden keine Kriege geführt, sondern Golfplätze angelegt.« »Wie recht du hast!« Vega baute sein MG neben einer Felsnase auf und warf ein Tarnnetz über die Mündung. Er hätte auch einen Busch ausreißen können, um die Waffe zu kaschieren, wollte aber nach Möglichkeit nichts in der Landschaft durcheinanderbringen. Diesmal gewann Ding beim Knobeln um die erste Wache und schlief wortlos ein.
»Mama?« Es war kurz nach sieben, und um diese Zeit machte Moira gewöhnlich schon das
Frühstück für ihre Frühaufsteher. Dave klopfte an die Schlafzimmertür, hörte aber nichts. Nun bekam er Angst. Er hatte bereits den Vater verloren und stellte sich wie seine Geschwister immer wieder die bange, unausgesprochene Frage: Was wird, wenn Mutter etwas passiert? Noch ehe er nach dem Türknopf tastete, traten ihm Tränen in die Augen.
»Mama?« Seine Stimme klang nun zittrig, und deshalb schämte er sich, befürchtete, seine Geschwister könnten ihn hören. Er drehte am Knopf und öffnete langsam die Tür.
Die Vorhänge waren zurückgezogen, die Morgensonne fiel ins Zimmer. Moira lag auf dem Bett, hatte noch ihr Trauerkleid an und rührte sich nicht.
Dave blieb reglos stehen. Die Tränen rannen ihm über die Wangen, als sein wahr gewordener Alptraum ihn traf wie ein körperlicher Schlag.
»…Mutter?« Dave Wolfe war ein tapferer Junge, der an diesem Morgen seinen ganzen Mut brauchte. Er raffte sich auf, ging ans Bett und ergriff die Hand seiner Mutter. Sie war noch warm. Dann tastete er nach dem Puls schwach und langsam, aber vorhanden. Das ließ ihn aktiv werden. Er griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch und wählte den Notruf.
»Ich brauche einen Krankenwagen. Meine Mutter will nicht aufwachen.«
»Ihre Adresse?« fragte die Stimme. Dave nannte sie. »Gut, nun beschreiben Sie den Zustand Ihrer Mutter.«
»Sie schläft und wacht nicht auf und…«
»Trinkt Ihre Mutter stark?«
»Nein!« erwiderte er empört. »Sie arbeitet beim FBI. Gestern abend kam sie spät von der Arbeit heim und ging sofort ins Bett. Sie…« Und da stand etwas auf dem Nachttisch. »Mein Gott, da stehen ja Pillen…«
»Buchstabieren Sie, was auf dem Etikett steht.«
»P-l-a-c-i-d-y-l. Das nahm mein Vater, aber der ist…« Mehr brauchte die Frau am anderen Ende nicht zu hören.
»In fünf Minuten kommt der Krankenwagen.« In Wirklichkeit war er schon nach vier Minuten da, denn die Wolfes wohnten nur drei Straßen von einer Feuerwache entfernt. Die Sanitäter standen schon im Wohnzimmer, ehe der Rest der Familie merkte, daß etwas nicht stimmte. Sie rannten nach oben, wo David
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