06 - Der Schattenkrieg
einundzwanzig Uhr geht’s los.« »Also ungefähr dann, wenn die Sturmfront aufzieht«, merkte Oreza an. »Sie müssen aber aufpassen, Red, wenn Sie…«
»Ich weiß, Portagee. Was ist das Leben schon ohne ein paar Risiken?« fragte er lächelnd. Riley entfernte sich als erster, ging nach vorne, stieg über zwei Ebenen eine Leiter hinunter und wandte sich nach achtern, bis er das Schiffsgefängnis, einen neun Quadratmeter großen Drahtkäfig, erreicht hatte. Die beiden lagen in ihren Kojen.
»Habt ihr zwei was zu essen bekommen?« fragte Riley. Der Mann in der unteren Koje jener, den er auf die Brückenreling geknallt hatte drehte sich um und riß bei seinem Anblick entsetzt die Augen auf. »Ja.«
»Ihr habt eure Zigaretten auf der Brücke verloren.« Riley warf die Packung durch das Gitter. Einer der Männer schnappte sie hastig und bedankte sich. Riley entfernte sich lachend. Wartet nur ab, ihr Säcke… Auf See ist das Wetter immer beeindruckend. Vielleicht liegt das daran, daß es über einer gleichförmigen Fläche aufzieht; es mag auch sein, daß der Mensch die Gewalt auf See intensiver spürt als an Land. In dieser Nacht konnte Wegener im Schein des Dreiviertelmondes die Sturmfront mit zwanzig Knoten herannahen sehen. Die Front brachte Fünfundzwanzig-Knoten-Winde mit, die in Böen fast die doppelte Geschwindigkeit erreichten. Aus Erfahrung wußte Wegener, daß die sanfte, eins-zwanzig hohe Dünung, auf der sich die Panache wiegte, bald zu wilden Brechern und fliegender Gischt hochgepeitscht werden würde. Nichts Besonderes eigentlich, aber es reichte aus, um die Dinge auf seinem Kutter lebhaft zu gestalten. Einige seiner jüngeren Besatzungsmitglieder würden bald die Abendmahlzeit bereuen. Nun ja, auch das mußte ein Seemann lernen: Die See hatte etwas gegen Vielfraße.
Wegener war der Sturm willkommen, denn er erzeugte nicht nur die rechte Atmosphäre, sondern bot ihm auch einen Vorwand, die Wache umzustellen. Ensign O’Neil hatte das Schiff noch nie durch schweres Wetter gesteuert; heute nacht sollte er seine Chance bekommen. »Probleme, Mister?« fragte der Skipper den jungen Offizier. »Nein, Sir.«
»Gut. Vergessen Sie nicht, wenn sich etwas ergeben sollte, bin ich in der Messe.« Einer von Wegeners Dauerbefehlen lautete: Kein Wachoffizier wird je getadelt, weil er den Kapitän auf die Brücke gerufen hat. Auch wenn ihr nur die genaue Uhrzeit wissen wollt: RUFT MICH! Eine weitverbreitete Übertreibung, die aber notwendig war, denn ein junger Offizier mochte einen solchen Bammel haben, den Skipper zu stören, daß er eher einen Tanker rammte - und damit dem Alten die Karriere ruinierte. Einen guten Offizier, das schärfte Wegener seinen Jungen immer wieder ein, erkennt man an seiner Bereitwilligkeit, einzugestehen, daß er noch dazuzulernen hat. O’Neil nickte. Beide Männer wußten, daß es keinen Anlaß zur Sorge gab. Der Junge mußte nur noch lernen, daß sich ein Schiff etwas anders verhält, wenn Wind und See querab kommen. Außerdem sah Chief Owens nach dem Rechten. Wegener ging nach achtern.
In der Mannschaftsmesse hatten die Männer gerade einen Sexfilm eingelegt. Kluger Schachzug von Riley; da waren sie beschäftigt. In der Offiziersmesse war das gleiche Programm verfügbar, würde aber heute nicht laufen.
Der heranfegende Sturm würde die Männer von Deckspaziergängen abhalten, und auch das Getöse konnte nicht schaden. Wegener lächelte in sich hinein, als er die Tür zur Messe öffnete. Besser hätte er die Sache nicht planen können.
»Alles bereit?« fragte der Captain.
»Wir sind klar«, erwiderte Oreza von seinem Platz am anderen Ende des Tisches. Die Offiziere nickten alle zustimmend. Red ging an seinen Stuhl in der Mitte des Tisches und schaute Riley an. »Holen Sie sie hoch.«
»Aye, aye, Sir.« Der Bootsmann verließ den Raum und ging hinunter zum Schiffsgefängnis. Beim Öffnen der Tür schlug ihm beißender Gestand entgegen, der ihn erst befürchten ließ, es sei Feuer ausgebrochen; doch einen Augenblick später erkannte er die Wahrheit.
»Scheiße!« grollte er angewidert. Auf meinem Schiff! »Aufgestanden, ihr Säcke!« brüllte er. »Alle beide!«
Der Mann in der unteren Koje warf seinen Stummel in die Toilette und erhob sich mit einem arroganten Lächeln. Riley grinste zurück und holte einen Schlüssel aus der Tasche. Der Mann, den Riley insgeheim »Pablo« nannte, sah nun weniger überheblich aus, grinste aber weiter. »So, wir machen jetzt mal einen kleinen Spaziergang.«
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