06 - Der Schattenkrieg
pilzförmige Wolken und Millionen von Opfern einfielen, nicht zu verletzen: der für Regierungen in aller Welt typische Versuch, mit neuen Bezeichnungen über Inhalte hinwegzutäuschen. »Special-Operations« bedeutete aber etwas anderes verdeckte Einsätze nämlich, bei denen Leute an Orte gebracht wurden, an denen sie eigentlich nichts verloren hatten, während des Aufenthaltes dort versorgt und dann, nach Abschluß ihrer zweifelhaften Aktivitäten, wieder herausgeholt wurden. Dies war unter anderem die Aufgabe des 1. Geschwaders.
Colonel Paul Johns »PJ« war nicht über alles informiert, was das Geschwader wußte. Das 1. war ein recht merkwürdiger Verband, bei dem Autorität nicht immer mit Rang einherging, wo Truppen die Maschinen und Besatzungen unterstützten, ohne zu wissen warum, wo Flugzeuge zu allen unmöglichen Zeiten eintrafen und starteten und wo niemand zu Spekulationen oder Fragen ermuntert wurde. Das Geschwader war in einzelne Gruppen aufgeteilt, die auf Ad-hoc-Basis zusammenarbeiteten. Zu Johns’ Gruppe gehörte ein halbes Dutzend Hubschrauber vom Typ MH553J »Pave Low III«. Johns war schon lange bei der Air Force und hatte es irgendwie fertiggebracht, den Großteil seiner Dienstzeit in der Luft zu verbringen, was natürlich zur Folge hatte, daß seine; Chancen auf die Sterne eines Generals gleich Null waren. Aber das störte ihn nicht; schließlich war er des Fliegens wegen zur Luftwaffe gegangen, und Generale kommen nur selten an den Steuerknüppel. Als forscher junger Captain hatte PJ den Angriff auf Song Tay mitgeflogen, als Kopilot der Maschine, die mit Absicht eine Bruchlandung in einem Gefangenenlager zwanzig Meilen westlich von Hanoi gemacht hatte in dem Versuch, Männer zu retten, die, wie sich herausstellte kurz zuvor verlegt worden waren. Das war einer der wenigen Mißerfolge seines Lebens gewesen. An Fehlschläge war Colonel Johns nicht gewöhnt. Wer abgeschossen wurde, den holte PJ raus. In der Geschichte der Air Force nahm er als Rettungsspezialist den dritten Rang ein. Er und seine Crews hatten dem gegenwärtigen Stabschef und zwei anderen Generälen einen Aufenthalt im Hanoi Hilton erspart.
Wie die meisten Kriegshelden war er ein stinknormaler Mensch: eins-siebzig, fünfundsechzig Kilo, Brille. Er mähte seinen Rasen selbst, fuhr einen sparsamen Plymouth Horizon, hatte zwei studierende Kinder und freute sich zusammen mit seiner Frau auf den baldigen Ruhestand.
Nun aber saß er auf dem linken Sitz eines Pave-Low-Hubschraubers und prüfte einen jungen Captain, der nach allgemeiner Ansicht das Zeug zum Kommandanten hatte. Der Helikopter jagte mit knapp zweihundert Knoten über die Baumwipfel hinweg. Es war eine dunkle, bedeckte Nacht, und dieser Teil des Geländes von Eglin war nur schwach beleuchtet, aber das machte nichts. Er und der Captain trugen spezielle Helme mit eingebauten Nachtsichtbrillen und sahen aus wie Darth Vader im »Krieg der Sterne«. Die Geräte funktionierten einwandfrei und verwandelten die vage Dunkelheit vor ihnen in ein grüngraues Display. PJ hielt konzentriert Ausschau und überzeugte sich davon, daß der Captain seinem Beispiel folgte. Eine Gefahr bei diesen Geräten war, daß das von den Masken erzeugte künstliche Bild die beim Tiefflug so entscheidende Tiefenwahrnehmung herabsetzte. Ein Drittel aller Abstürze beim Geschwader war auf dieses Phänomen zurückzuführen, und noch war es den Hexenmeistern von der Technik nicht gelungen, eine vernünftige Lösung zu finden. Die Absturzquote bei Übungen und Einsätzen war beim Pave Low relativ hoch der Preis der Mission, für die sie trainierten: die einzige Antwort auf das Problem war intensiveres Üben.
Über ihnen kreiste der sechsblättrige Rotor, angetrieben von zwei Turboshaft-Triebwerken. Der Pave Low war einer der größten Hubschrauber und hatte eine sechsköpfige Besatzung und Platz für vierzig voll ausgerüstete Soldaten. Ausbuchtungen an der Nase verbargen Radar-, Infrarot- und andere Geräte; die Maschine sah aus wie ein Insekt von einem anderen Planeten. An den Türen links und rechts befanden sich Halterungen für Schnellfeuerkanonen, und auch an der Hecktür konnte eine solche Waffe angebracht werden. Die Hauptaufgabe des Hubschraubers, das verdeckte Absetzen und Versorgen von Kommandotrupps, war gefährlich so wie die Nebenrolle, die sie nun übten: Rettungseinsätze unter Gefechtsbedingungen. In Südostasien hatte Johns mit Jagdbombern vom Typ A-1 Skyraider zusammengearbeitet. Wer ihnen
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