06 - Der Schattenkrieg
eine Lektion erteilt. Überlegt euch die Sache gut. Wer Zweifel hat, soll sich sofort bei mir melden. Und wenn jemand aussteigen will, ist mir das auch recht.« Sein Gesicht und sein Tonfall drückten indes etwas ganz anderes aus. Ramirez machte kehrt und ging. »Verdammt«, bemerkte Chavez nach einer Weile. »Ich hatte ja schon ein komisches Gefühl, aber das verdammt noch mal.«
»Ein Freund von mir ist an einer Überdosis gestorben«, sagte Vega.
»Er war kein richtiger Fixer, hat nur so herumexperimentiert; muß wohl an schlechten Stoff geraten sein. Da hab ich Muffensausen gekriegt und das Zeug nie mehr angerührt. Tomás war ein guter Freund, ’mano. Den Kerl, der ihm den Dreck verkauft hat, würde ich ganz gern mal mit meiner MP bekanntmachen.«
Chavez nickte nachdenklich. Er entsann sich der Bandenkämpfe, die schon in seiner Kindheit brutal genug gewesen waren, aber heute ging es nicht mehr um symbolisches Territorium, sondern um Marktanteile. Plötzlich waren Unsummen mit Drogen zu verdienen, und dafür tötete man ohne Zögern. Der Rauschgifthandel hatte sein Viertel von einer Slumgegend in eine Kriegszone verwandelt, in der sich viele Menschen wegen der bewaffneten Dealer nicht mehr auf die Straße trauten. Ungezielte Schüsse durchschlugen Fenster und töteten Leute vorm Fernseher, und die Polizei wagte sich nur noch in der Stärke und mit der Bewaffnung einer Invasionsarmee in das Viertel… alles nur wegen der Drogen. Und die Verantwortlichen saßen fünfzehnhundert Meilen weiter in Sicherheit und lebten im Luxus… Chavez konnte nicht ahnen, wie geschickt er und seine Kameraden, Captain Ramirez eingeschlossen, manipuliert worden waren. Alle waren Soldaten, die unablässig übten, um ihr Land gegen Feinde zu schützen, Produkte eines Systems, das Einsatz und Leistung ohne Rücksicht auf Hautfarbe oder Akzent belohnte. Die meisten Soldaten entstammten der Unterschicht und waren mit den von Drogen ausgelösten gesellschaftlichen Problemen vertraut. Diese Männer galten als Aufsteiger und sahen hier die Chance, nicht nur ihr Land zu schützen, sondern auch die Barrios, denen sie entflohen waren. Schon ihr Stolz hätte ihnen verboten, aus der Mission auszusteigen, und unter ihnen war keiner, der nicht irgendwann erwogen hatte, einen Dealer umzulegen. Hier bei der Army aber bekamen sie die Chance, noch gründlicher hinzulangen. Es machten also alle mit.
»Holt die Scheißkerle vom Himmel!« rief der Funker. »Schießt ihm ’ne Sidewinder in den Arsch!« »Genau«, stimmte Vega zu. »Das würde ich gerne erleben. He, ich fände es gut, wenn wir sogar die Bosse ausräuchern könnten. Meinst du, das schaffen wir, Ding?«
Chavez grinste. »Soll die Frage ein Witz sein, Julio? Wer arbeitet denn für die Soldaten vielleicht? Quatsch, das ist Abschaum mit MPs. Da unten haben die vielleicht eine Chance, aber gegen uns niemals. Laßt mich nur ran; ich lege ganz lautlos die Wachposten um, und den Rest könnt ihr dann erledigen.«
»Er zieht mal wieder seine Ninja-Nummer ab«, bemerkte ein Schütze. Ding nahm einen Wurfstern aus der Hemdtasche und schnellte ihn aus dem Handgelenk ab: Die bösartige Nahkampfwaffe blieb fünf Meter weiter im Türrahmen stecken.
»He, Ding, zeigst du mir mal, wie du das machst?« fragte der Schütze. Von den Gefahren wurde nicht mehr geredet, nur noch von den Chancen, die sie bot.
Sie nannten ihn Bronco. In Wirklichkeit hieß er Jeff Winters und war ein frischgebackener Captain der US-Luftwaffe; den Spitznamen brauchte er, weil er als Kampfflieger ein Rufzeichen haben mußte. Seinen Spitznamen hatte er erwischt, als er vor langer Zeit in Colorado so sanft vom Pferd fiel, daß das arme Tier vor Schreck fast gestorben wäre.
Winters war ein kleiner Siebenundzwanzigjähriger, der schon siebenhundert Flugstunden in der F15C hinter sich hatte. Manche Männer sind geborene Rennfahrer oder Schauspieler; Bronco Winters war auf die Welt gekommen, um Kampfflugzeuge zu fliegen. Seine Augen waren der Traum jedes Ophthalmologen, seine Koordinationsfähigkeit kombinierte die Bestleistungen eines Konzertpianisten mit denen eines Trapezartisten, und darüber hinaus verfügte er über eine seltene Qualität, die man im kleinen Kreis seiner Kameraden Situationsbewußtsein nannte. Winters wußte immer, was um ihn herum vorging. Seine Maschine war ein Teil seines Bewußtseins; er übertrug seine Wünsche an sie, und die F-15C gehorchte sofort, folgte sozusagen seinen Gedanken. Im Augenblick flog er
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