06 - Der Schattenkrieg
Maschinenpistole auf den Boden. Ein zweiter Mann tauchte auf, ging aber in die entgegengesetzte Richtung. Miese Taktik, dachte Chavez. Paare sollten einander unterstützen. Der letzte Teil des Mondes versank hinter der obersten Ebene des dreischichtigen Blätterdaches, und Chavez war mit seinem Nachtsichtgerät dem auf ihn zukommenden Mann gegenüber im Vorteil. Der Mann schritt leise wenigstens konnte er das - und langsam, behielt den Straßenrand im Auge und lauschte. Chavez schaltete das Nachtsichtgerät aus und nahm es vom Kopf. Dann zog er sein Kampfmesser aus der Scheide. Nun war der Mann nur noch fünfzig Meter entfernt; der Sergeant ging in die Hocke und zog die Knie an die Brust. Dreißig Meter; er hielt den Atem an. Dies war eine Übung; im Ernstfall hätte der andere schon eine 9-mmKugel im Kopf gehabt.
Der Wachposten ging direkt an Ding vorbei, ohne ihn zu sehen. Er machte noch einen Schritt und hörte dann ein zischendes Geräusch, aber da war es schon zu spät. Er fiel mit dem Gesicht in den Kies und spürte den Griff eines Dolches im Genick.
«Ninja gehört die Nacht, Junge! Dich gibt’s schon nicht mehr.«
»Mich hat’s in der Tat erwischt«, flüsterte der Mann zurück. Chavez drehte ihn um. Es war ein Major, der ein Barett trug. »Wer sind Sie?« fragte das Opfer. »Sergeant Domingo Chavez, Sir.« »Sie haben gerade einen Dschungelkampf-Ausbilder getötet, Chavez. Gute Arbeit. Darf ich einen Schluck trinken? War eine lange Nacht.«
Chavez ließ den Mann in die Büsche rollen, wo er nach seiner Feldflasche griff. »Von welcher Einheit sind Sie Moment, 3. Kompanie, 17. Bataillon?«
»Die Nacht ist unser, Sir«, stimmte Chavez zu. »Kommen Sie von dort?«
»Nein, da will ich hin.« Der Major wischte sich Blut aus dem Gesicht. Er war etwas heftig auf die Straße gefallen.
»Tut mir leid, Sir.«
»Meine Schuld, Sergeant. Wir haben zwanzig Mann draußen. Ich hätte nie erwartet, daß Sie es unentdeckt so weit schaffen würden.«
Motorengeräusch kam näher. Eine Minute später wurden die weit auseinanderstehenden Scheinwerfer eines Hummer der größere, weitaus schwerere Nachfolger des guten alten Jeep sichtbar. Die Übung war zu Ende. Der »tote« Major und Captain Ramirez gingen ihre Männer einsammeln. »So, Leute, das war die Abschlußprüfung«, sagte er seiner Kompanie. »Ruht euch gut aus. Morgen nacht geht’s los.«
»Das ist doch unglaublich«, sagte Cortez. Er war mit der ersten Maschine nach Atlanta gekommen und von einem Mitarbeiter mit einem Mietwagen abgeholt worden. Nun fuhren sie über den mehrspurigen Ring von Atlanta und besprachen die neuen Informationen.
»Nennen Sie es psychologische Kriegführung«, erwiderte der Mann. »Keine Strafminderung gegen Aussagen, nichts. Es wird ein ganz klarer Mordprozeß. Mit Milde können Ramón und Jesús nicht rechnen.«
Cortez schaute versonnen auf die vorbeiziehenden Autoschlangen. Die beiden sicarios waren entbehrlich wie jeder andere Terrorist auch; den Grund für den Mordauftrag hatten sie nicht gekannt. Was ihn nun beschäftigte, waren scheinbar zusammenhanglose Informationen über Versuche der Amerikaner, Drogensendungen abzufangen. Eine ungewöhnlich hohe Zahl von Kurierflugzeugen verschwand. Die Amerikaner behandelten diesen Mordfall auf ungewöhnliche Weise. Der Direktor des FBI tat etwas, das ihm mißfiel, etwas, über das seine Sekretärin noch nicht informiert war. Es sollten »neue Regeln« gelten. Das konnte alles mögliche bedeuten.
Etwas von grundlegender Wichtigkeit. Aber was? Seine Organisation hatte eine Reihe gutbezahlter und sehr zuverlässiger Informanten in der amerikanischen Regierung sitzen; beim Zoll, in der DEA und bei der Küstenwache, aber keiner hatte etwas gemeldet.
Die Rechtsorgane tappten im dunkeln abgesehen vom FBI-Direktor, der »etwas gegen die neuen Maßnahmen« hatte, aber bald nach Kolumbien reisen wollte… Stand eine Geheimdienstoperation bevor? Nein. Oder etwa aktive Operationen? Das war ein KGB-Begriff und konnte alles mögliche bedeuten; vom Versorgen von Reportern mit Desinformation bis zu »nasser« (also blutiger) Arbeit. War den Amerikanern so etwas zuzutrauen? Was trieben sie im Augenblick?
Cortez mußte sich eingestehen, daß er das nicht wußte. Und die Vorstellung, daß er in sechs Stunden seinem Arbeitgeber sein Unwissen eingestehen mußte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Es ging um etwas Grundlegendes. Neue Regeln: Dem Direktor mißfiel das; seine Sekretärin war nicht informiert; und die
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