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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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aus
ihrem Heimatort nach London käme, Euphemia Vickers etwa, die nach dem Besuch
zurückkehren würde, um allen zu erzählen, wie ihre Schönheit verschmäht wurde.
    Was war an dem mopsgesichtigen
kleinen Mädchen in dem unscheinbaren Kleid so Besonderes, dass es solche Männer
wie den Herzog und Lord Paul in ihren Bann zog?
    »Es ist bestimmt Mrs. Bessamys
Schuld«, beschloss Jenny schließlich mit der Überempfindlichkeit von jungen
Leuten. »Sie ist eifersüchtig auf mich und hat schlechte Dinge über mich verbreitet,
um meine Aufnahme in die Gesellschaft zu verhindern.« Und je mehr sie darüber
nachdachte, desto sicherer wurde sich Jenny, dass es so sein musste. Hinter
Mrs. Bessamys gleichgültigem Blick verbargen sich plötzlich ganze Welten von
Bosheit und Neid. Die Leute in London sind böse, sinnierte Jenny und fühlte
sich schon etwas getröstet. Aber ich werde noch ein bisschen warten und dann
der Tante sagen, dass ich nach Hause muss.
    Sie sah auf einem Tisch vor sich ein
paar Zeitschriften liegen, nahm eine, öffnete sie an der Stelle, wo ein
Fortsetzungsroman begann, und fing an zu lesen.
    Sie war so vertieft in die
Geschichte, dass sie ganz vergaß, wie die Zeit verging, und zusammenfuhr, als
sich der Türknopf zur Bibliothek drehte.
    Ohne nachzudenken ließ sie die
Zeitschrift fallen, sprang hinter ihren Stuhl und duckte sich.
    »Hier scheint niemand zu sein«, war
Lord Pauls Stimme zu hören.
    Dann ertönte Lady Letitias Stimme,
lebhaft und voller Angst. »Wo kann das Kind nur hingegangen sein?«
    »Sie kann nicht weit weg sein,
glaube ich«, erwiderte Lord Paul. »Mrs. Bessamy verspricht immer kleine intime
Feste, und dann drücken sich die Leute leider halb tot.«
    »Ich halte Sie von Ihren Freunden
ab, Mylord«, sagte Lady Letitia.
    »Keineswegs«, sagte Lord Paul. »Aber
ich wünschte, ich könnte jetzt mit der anziehendsten Frau des Abends tanzen.«
    »Mit Jenny natürlich«, sagte Lady
Letitia und lachte auf. »Ja, wie üblich ist sie die schönste Frau hier. Ich
frage mich nur, warum sie keinen Anklang gefunden hat. Ich muss weiter nach ihr
suchen. Mylord, vielleicht ist es besser, wenn wir uns trennen und jeder für
sich weitersucht.«
    »Einverstanden. Da kommt Pelham. Er
wird uns helfen.«
    »Ich suche lieber gleich weiter,
Mylord«, sagte Lady Letitia. »Ich gestehe, dass ich mir allmählich
fürchterliche Sorgen mache.«
    Ihre letzten Worte waren kaum noch
zu hören, weil sie sich schon aus dem Zimmer entfernt hatte.
    Dann drang die Stimme des Herzogs
von Pelham an Jennys lauschende Ohren. »Was für einen Kummer hat Lady Letitia?«
»Miss Jenny Sutherland ist unauffindbar.«
    »Sie versteckt sich wahrscheinlich
irgendwo. Nachdem es ihr nicht gelungen ist, mit fairen Mitteln Aufmerksamkeit
zu erregen, greift sie jetzt ohne Zweifel zu unfairen. Damit meine ich, dass
sie sich wahrscheinlich hinter irgendeinem Vorhang verborgen hält und so lange
wartet, bis ihr Verschwinden für genug Aufregung gesorgt hat.«
    Jenny unterdrückte einen Wutschrei.
    »Sie sind zu streng«, war Lord Pauls
Stimme zu hören. »Helfen Sie mir suchen. Wenn ich sie gefunden habe, werde ich
wohl nach Hause gehen. Ich bin müde von der Reise.«
    »Ich werde mindestens bis zum
Morgengrauen bleiben«, erwiderte der Herzog von Pelham. »Die kleine Miss
Maddox ist eine sehr angenehme Partnerin.«
    Das Mopsgesicht, ohne Zweifel,
dachte Jenny.
    »Es ist seltsam, dass die schöne
Miss Jenny nicht von Bewunderern umlagert war«, meinte Lord Paul.
    »Dafür gibt es eine einfache
Erklärung«, sagte der Herzog. »Geben Sie es nur zu! Sie kennen den Grund dafür
genauso gut wie ich.«
    Lord Pauls Antwort ging im Geräusch
des Türeschließens unter, als die beiden Männer den Raum verließen.
    Jenny richtete sich langsam auf,
trat vor den Spiegel und betrachtete ihr schamrotes Spiegelbild. Was war
schiefgegangen? Warum war ihr Versagen so deutlich, dass Lord Paul und der verhaßte
Herzog sich darüber unterhielten?
    Die Kopfschmerzen, die sie den
ganzen Tag hatte vorschützen wollen, plagten sie jetzt wirklich. Sie stahl sich
aus dem Zimmer und ging auf die Suche nach ihrer Tante.
    »Mir ist es langweilig geworden«, sagte
Jenny in der Kutsche auf dem Nachhauseweg, »und ich wollte ein bisschen Zeit
für mich haben. Deshalb habe ich mich zurückgezogen, Tante, hör also auf, mich immerzu
auszufragen.«
    »Jenny«, sagte Tante Letitia, »deine
ländlichen Manieren finden in London keinen Anklang. Die Art und Weise, wie du
dich

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