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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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die mit ihm
tanzten, so tun, als seien sie ebenfalls betrunken. Das verlangte die sonderbare
Etikette. Es war schrecklich, die Leute kichern zu hören, während sie beide
über die Tanzfläche taumelten und schwankten und stolperten.
    Nachdem das endlose zehn Minuten so
gegangen war, wurde es dem Prinzregenten langweilig. Er hörte auf zu tanzen,
wandte sich ab und rief: »Bringt mein Spielzeug! Wir wollen sehen, was die
Damen können.«
    Ein Adjutant brachte ein Luftgewehr
herein, das er dem Prinzen überreichte. Der Prinzregent schritt durch die
Zimmer, bis er in ein kleineres kam. Er befahl, die Kartentische an die Wand zu
rücken, und legte dann das Gewehr an. Dafür dass er so betrunken war, zielte
er bemerkenswert gut. Dann bat er die Damen zu schießen. Man hörte Mrs.
Bessamy ärgerlich aufstöhnen. Lady Letitia sagte laut, dass sie sehr
kurzsichtig sei, und viele andere Damen folgten ihrem Beispiel. Manche
versuchten es, aber das Wettschießen fand ein rasches Ende, nicht etwa, weil
jemand auf einen der Geiger im Orchester geschossen hätte — denn wer scherte
sich schon um einen Geiger? —, sondern weil eine kichernde Miss es geschafft
hatte, das gemalte Auge eines der Vorfahren von Mrs. Bessamy mit einem Pfeil
zu durchbohren, obwohl das Porträt recht weit weg von den Zielobjekten hing.
    Der Prinzregent verkündete
schmollend, er wolle jetzt Karten spielen, und verließ das Fest zusammen mit
seinen Busenfreunden. Im Ballsaal begann man zu tanzen.
    Jenny stand neben Lord Paul und Lady
Letitia. Sie lächelte hoffnungsvoll zu Lord Paul auf. Noch einmal spielte man
den unvermeidlichen Walzer, und er hatte doch den Wunsch geäußert, mit ihr zu
tanzen.
    Der Herzog von Pelham gesellte sich
zu ihnen. Er ist ein höchst unangenehmer Mensch, man weiß nicht, was man von
ihm halten soll, dachte Jenny. Er blickte über ihren Kopf hinweg, als ob sie
nicht vorhanden wäre, und sagte zu Lady Letitia: »Wollen Sie mit mir tanzen,
Madam?«
    Lord Paul murmelte etwas
Unverständliches vor sich hin. Lady Letitia schien ein wenig überrascht zu
sein, aber sie nickte, machte einen Knicks und erlaubte dem Herzog, sie auf die
Tanzfläche zu führen. Lord Paul kann ihn offenbar auch nicht leiden, dachte
Jenny, die beobachtete, wie er dem Paar wütend nachstarrte.
    »Er ist wirklich furchtbar von sich
eingenommen«, bemerkte Jenny.
    »Wer?« fragte Lord Paul, der seine
Augen nicht von dem Herzog und Lady Letitia lassen konnte, ärgerlich.
    »Nun, der Herzog von Pelham
natürlich.«
    Lord Paul schaute auf Jenny herab.
»Sie können nicht wissen, Miss Sutherland, dass ich Pelham als Soldat und als
Gentleman außerordentlich bewundere, sonst hätten Sie nicht solch eine seltsame
Bemerkung gemacht. Entschuldigen Sie mich.« Er verbeugte sich und ging quer
durch den Saal auf ein lebhaftes kleines Mädchen zu, das ein Gesicht wie ein
Mops hatte, und das nächste, was Jenny erfasste, war, dass Lord Paul das
Mopsgesicht auf die Tanzfläche führte und dabei durchaus erfreut über seine
Tanzpartnerin aussah.
    Jenny setzte sich auf einen kleinen
vergoldeten Stuhl und wedelte sich mit ihrem Fächer Luft zu. Sie fühlte sich
verloren und vollkommen verunsichert. Keine andere Frau im Saal war so schön
wie sie, und doch hatte es den Anschein, als sollte sie das Mauerblümchen sein.
    Sie saß während des ganzen Tanzes da
und während des nächsten auch noch. Dann musste sie die Demütigung über sich
ergehen lassen, mit anzusehen, wie sich Lady Letitia offenbar zu ihr gesellen
wollte, von Lord Paul aber aufgefordert wurde, mit ihm zu tanzen. Der Herzog
von Pelham führte das Mopsgesicht auf die Tanzfläche und schien ebenso entzückt
von ihr zu sein, wie es Lord Paul gewesen war.
    Zahlreiche Paare tanzten, andere
Mitglieder der Gesellschaft gingen an Jenny vorbei, ihre harten, abschätzigen
Augen ruhten gleichgültig auf ihr und wandten sich dann wieder ab.
    Das war mehr, als sie ertragen
konnte. Jenny stand auf und eilte hinaus, um nach einer stillen Ecke zu suchen,
in der sie ihre Demütigung verbergen konnte.
    Am Ende einer Reihe von Türen, die
in die zahlreichen Salons führten, war eine geschlossene Tür. Sie stieß sie auf
und befand sich in einer kleinen Bibliothek. Sie schloss die Tür hinter sich
und stellte damit das Geplapper und die Musik ab.
    Sie setzte sich hin und klappte
ihren Fächer auf und zu, während sie versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu
bringen. Warum fand sie keinen Anklang? Sie stellte sich vor, dass jemand

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