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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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Tür.«
    »Wer kann denn das um diese Zeit
sein?« rief Mrs. Middleton aus. »Nehmen Sie lieber Angus mit, falls es Räuber
sind.«
    »Ich glaube nicht, dass Einbrecher
laut klopfen, damit man sie hereinlässt«, sagte der Butler und schaute Angus
belustigt an, der eine große Donnerbüchse von der Wand nahm.
    Er öffnete die Tür. Angus schob die
Mündung der Büchse über Rainbirds Schulter. Im Türrahmen stand Jenny Sutherland.
    »Miss!« rief Rainbird, trat vor
Überraschung einen Schritt zurück und stieß dabei gegen Angus. »Was ist los, um
Himmels willen?»
    »Ich muss mit Ihnen sprechen«, sagte
Jenny. »Lassen Sie mich hinein.«
    »Aber Ihre Eltern...«
    »Die sind beide tot. Lassen Sie mich
hinein.«
    Rainbird wich nicht von der Stelle.
»Sie haben doch sicher Verwandte oder eine Anstandsdame.«
    »Ich bin Miss Jenny Sutherland«,
sagte Jenny. »Meine Tante liegt schon im Bett. Keiner wird mich vermissen. Ich
wohne in Nummer einundsiebzig. Ich will nur ein bisschen reden. Ich habe
gedacht, Sie freuen sich, mich zu sehen.«
    »Also gut«, sagte Rainbird. Er und
Angus traten zur Seite, und Jenny, die immer noch im Ballkleid war, betrat die
Gesindestube. Die anderen erhoben sich.
    »Bitte setzen Sie sich, Miss
Sutherland«, sagte Rainbird und zog einen Stuhl für sie unter dem Tisch hervor.
»Miss Sutherland«, sagte er zu den übrigen, »ist die junge Dame, die uns vor
der Rückkehr des Herzogs von Pelham gewarnt hat.«
    »Ja, aber was tut Miss Sutherland zu
dieser späten Stunde hier?« wollte Mrs. Middleton wissen, und ihr Gesicht
zuckte ängstlich bei der Vorstellung, dass die zornentbrannten Eltern oder ein
Vormund in die Gesindestube gestürzt kämen.
    »Miss Sutherland will das gerade
erklären«, sagte Rainbird. Er goss Jenny ein Glas Wein ein, setzte sich neben
sie und bedeutete den anderen, dass sie sich ebenfalls wieder setzen könnten.
    »Und nun, Miss Sutherland«, sagte
Rainbird, »erklären Sie uns bitte, inwiefern wir Ihnen behilflich sein können.«
    Kerzenlicht erhellte die Stube, und
Jenny sah die Diener einen nach dem anderen an. Joseph hielt eine mit Bändern
verzierte Mandoline auf den Knien, seine Augen waren groß vor Bewunderung.
Mrs. Middleton blickte so streng und missbilligend, wie diese Seele von Mensch
blicken konnte. Lizzies große stiefmütterchenbraunen Augen waren auf Jennys
Gesicht geheftet, wie die eines Kindes, das auf seine Gute-Nacht-Geschichte
wartet. Alice fasste ein Taschentuch ein. Sie hob den Kopf und lächelte Jenny
an, ein warmherziges, ermutigendes Lächeln.
    Jenny trank etwas von ihrem Wein und
schwieg weiter. »Ich werde mich vorstellen und dann die anderen, während Sie sich
beruhigen«, sagte Rainbird. »Ich bin Rainbird, der Butler. Die feine Dame mit
der Haube ist Mrs. Middleton. Der feurige Schotte mit der Kochmütze ist Angus
MacGregor. Unsere Brünette hat denselben Namen wie Sie, Jenny, und ist das
Stubenmädchen. Alice ist das Hausmädchen, diejenige mit der Näharbeit. Joseph,
der Lakai, hat uns mit der Mandoline unterhalten. Lizzie ist unser —«, er
zögerte. Er war drauf und dran gewesen, »Küchenmädchen« zu sagen, aber Lizzie
hatte sich so sehr verändert, war an Geist und Körper gewachsen, und bald
sollten sie alle ihre Freiheit haben, und Lizzie würde mit ihnen gleichgestellt
sein. »Lizzie ist unser Mädchen für alles«, sagte er, und Lizzies Wangen
überzogen sich mit einer feinen Röte vor Freude über den großartigen neuen
Titel. »Und der kleine Dave ist unser Topfspüler.«
    Jenny lächelte schüchtern.
    »Sie können nicht lange bleiben«,
sagte Rainbird. »Sagen Sie uns jetzt bitte, was Sie bekümmert. Ich versichere
Ihnen, dass keiner von uns klatschen wird.« Rainbird warf Joseph, dieser alten
Klatschbase, einen warnenden Blick zu und wandte sich dann wieder an Jenny. Sie
schaute in das kluge, lustige Gesicht des Butlers, in seine funkelnden grauen
Augen und lachte dann auf.
    »Ich bin heute abend auf meiner
ersten Londoner Gesellschaft gewesen«, sagte Jenny, »und keiner wollte mit mir
tanzen, obwohl ich bei weitem die hübscheste Dame dort war. Ich war ein
Reinfall. Es war auch ein Mädchen mit einem Gesicht wie ein Mops dort, und
jedermann schien sie zu lieben, und Tante Letitia sagt, ich bin... ei-eitel...
und... und... s-selbstsüchtig ...« Und dann verbarg Jenny das Gesicht in den
Händen und fing zu weinen an.
    Sie wirkte äußerst mitleiderregend.
Angus räusperte sich und wandte sich ab, Mrs. Middleton musste sich

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