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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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gibst, hat etwas Dreistes an sich. Du strahlst die Erwartung aus, dass
sich aller Augen auf dich richten, und das, fürchte ich, bewirkt bei den
Gentlemen, dass sie dich links liegenlassen. Du bist eine Unbekannte. Die
Favoritinnen unter den Debütantinnen stehen bereits einwandfrei fest. Es würde
dir wohl anstehen, wenn du dir an dem Verhalten von Miss Maddox ein Beispiel
nehmen würdest.«
    »Wer ist das?«
    »Die attraktive Brünette, die
anfangs mit Lord Paul getanzt hat.«
    »Aber sie sieht wirklich nicht gut
aus. Mit ihrem kleinen zerknautschten Gesicht sieht sie aus wie ein Mops!«
    »Jenny! Wann wirst du je lernen, dass...
oh! Du kannst einen auf die Palme bringen, Mädchen, du schenkst keinem einzigen
Wort, das ich sage, auch nur die geringste Aufmerksamkeit!«
    Das stimmte. Denn als die Kutsche
langsamer wurde und sich Mrs. Freemantles Haus näherte, schaute Jenny schon
wieder aus dem Wagenfenster, und es gelang ihr, einen Blick auf die Diener von
Nummer 67 zu werfen, die in ihrer Stube um den Tisch versammelt saßen. Es war
ein merkwürdiger Anblick, der sich ihr da durch das hoch oben in der Wand
gelegene Fenster bot: Joseph spielte Mandoline, und die anderen, deren Köpfe
sie von oben sah, sangen dazu.
    Lady Letitia und Jenny kletterten
aus der Kutsche. Lady Letitia schickte die Kutsche zurück, um auf Mrs.
Freemantle zu warten, da die unermüdliche alte Dame geschworen hatte, dass sie
die ganze Nacht bleiben wolle.
    »Zumindest Lord Paul scheint recht
angetan von mir zu sein«, sagte Jenny trotzig, als sie die Eingangstreppe
hinaufstiegen.
    »Wie in aller Welt kommst du denn
darauf?»fragte Lady Letitia und wurde jetzt wirklich ärgerlich.
    Aber Jenny konnte schließlich nicht
sagen, dass sie in der Bibliothek gelauscht und gehört hatte, dass Lord Paul
sie — so meinte sie wenigstens — als anziehendste Frau des Abends beschrieben
hatte.
    »Und er ist außerdem viel zu alt für
dich«, fuhr Lady Letitia fort, als sie merkte, dass Jenny nicht antwortete.
    »Pah! Er sieht sehr gut aus. Und ich
will dir eines sagen, ich bin fest davon überzeugt, dass Mrs. Bessamy
irgendeine böse Bemerkung über mich gemacht hat, um mich unbeliebt zu machen.«
    »Geh zu Bett, Jenny«, sagte Lady
Letitia, und Jenny schaute überrascht in das wütende Gesicht ihrer sonst so
ausgeglichenen Tante. »Du langweilst mich mit deiner Eitelkeit und Dummheit
und deinem Mangel an Höflichkeit, Anstand und Großmut! Mrs. Bessamy ist die
Nettigkeit in Person. Sie hat zu mir gesagt, dass es ihr so leid tut, dass du
als Mauerblümchen herumgesessen bist, und sie hat ihr Bestes getan, um es zu ändern,
aber sie konnte keinen Herrn überreden, dich zum Tanzen aufzufordern.«
    Lady Letitia ging in ihr Zimmer und
schlug Jenny die Tür vor der Nase zu.
    Jenny rannte in ihr Zimmer, warf
sich auf das Bett und weinte bitterlich. Was war bloß schiefgegangen? Tante
Letitia war immer so nett und herzlich und liebevoll gewesen. Was hatte sie
dazu bewogen, all diese schrecklichen Dinge zu sagen, von denen doch wohl nicht
wahr sein konnte? »Ich bin nicht selbstsüchtig«, sagte Jenny schließlich laut,
setzte sich auf und rieb sich die Augen mit einem Taschentuch trocken. »Wenn
ich nicht gewesen wäre, dann wären die Diener von Pelham ganz schön in
Schwierigkeiten geraten.«
    Cooper kam herein, um ihr beim
Auskleiden behilflich zu sein, aber Jenny bat sie, wieder zu gehen.
    Eine verrückte Idee begann in ihrem
Kopf Gestalt anzunehmen. Sie verlangte nach Bewunderung wie andere nach einer
Droge. Die Diener von Pelham hatten allen Grund, ihr dankbar zu sein. Sie musste
in ihren Augen als Heldin erscheinen! Pelham hatte gesagt, er habe vor, die
ganze Nacht auszubleiben. Sie wollte sich aus Mrs. Freemantles Haus schleichen,
so wie sie es schon am Nachmittag gemacht hatte, zum Haus Nummer 67 laufen und
sie überraschen! Wie sie sich freuen würden, sie zu sehen! Voller Bewunderung!
Voller Hochachtung!
    Jenny badete ihre rotgeweinten Augen
in kaltem Wasser und steckte ein paar widerspenstige Locken hoch. Die Nacht war
sehr warm, und sie brauchte weder einen Mantel noch ein Umhängetuch.
    Nachdem sie sich einmal dazu
entschlossen hatte, nahm sie sich nicht die Zeit, über die Dummheit ihres Tuns
nachzudenken. Sie schlüpfte leise aus dem Haus und sog die warme, staubige
Londoner Nachtluft tief ein, bevor sie die Straße entlang und die Außentreppe
von Nummer 67 hinunterrannte.
    »Hör auf zu spielen, Joseph!« rief
Rainbird. »Da ist jemand an der

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